s 92. Die Zeugenpflicht. 489
aber — bevor auf den wirklichen Sinn des zitierten Gesetzes einge-
gangen wird — ein Punkt hervorzuheben, der in der Praxis selbst
von den angesehensten Gerichtshöfen öfters übersehen worden ist.
Man muß nämlich unterscheiden zwischen der Pflicht der Gerichte,
einem Ersuchen anderer Behörden zu genügen, und der Pflicht der
Untertanen zur Ablegung des Zeugnisses. Es ist im allgemeinen davon
auszugehen, daß sich alle Behörden eines Staates gegenseitig zu helfen
und zu unterstützen haben und daß sie nicht befugt sind, amtliche
Ersuchen zurückzuweisen, wofern dieselben nicht die Vornahme einer
in den Gesetzen verbotenen oder ihre Zuständigkeit überschreitenden
Handlung ihnen zumuten. Dies gilt von den Gerichten nicht min-
der wie von anderen Behörden. Wenn daher irgendeine Behörde
in irgendeiner Angelegenheit die eidliche Vernehmung eines Zeugen
für erforderlich erachtet, so steht nichts im Wege, das zuständige Ge-
richt um diese Vernehmung zu ersuchen, und das letztere wird dieses
Ersuchen der Regel nach nicht ablehnen dürfen, vorausgesetzt, daß
der bezeichnete Zeuge bereit ist, eine eidliche Aussage zu machen.
Auch wer nicht verpflichtet ist, sich vernehmen zu lassen, wird ja in
sehr vielen Fällen dennoch sein Zeugnis nicht verweigern, und die
Funktion des ersuchten Gerichts besteht darin, dieses Zeugnis in eine
authentische und beweisfähige Form zu bringen. Ganz verschieden
davon ist aber die Frage, ob jemand wider seinen Willen gezwungen
werden kann, ein Zeugnis abzulegen. Die Pflicht eines Gerichts, einer
Requisition zu genügen, schließt nicht die Pflicht des Einzelnen in
sich, zur Erledigung dieser Requisition mitzuwirken, und verleiht dem
Gericht nicht die Befugnis, einen Zwang auszuüben, der in den Ge-
setzen nicht begründet ist. Im Falle der berechtigten Zeugnisverweige-
rung würde daher das requirierte Gericht dem Ersuchen dadurch ge-
nügen, daß es die Zeugnisverweigerung konstatiert.
Was nun die erwähnte Bestimmung des Rechtshilfegesetzes anlangt,
so bezieht sich dieselbe gar nicht auf den objektiven Umfang der
Zeugenpflicht, sondern auf den subjektiven, d. h. auf den Kreis
der verpflichteten Personen. Der Schwerpunkt der Rechtsvorschrift
liegt in den Worten: »auch wenn er einem anderen Bundesstaate an-
gehört«. Das Gesetz verfügt, daß jeder Deutsche nicht bloß den Ge-
richten des Staates, welchem er angehört, sondern allen Gerichten im
ganzen Bundesgebiet gegenüber zeugenpflichtig ist; aber es sagt nicht,
daß jeder Deutsche in unbedingter und unbeschränkter Weise zeugen-
pflichtig ist. Das Rechtshilfegesetz ließ vielmehr in dieser Beziehung
die Landesgesetze unberührt und hat dies in unzweifelhafter Weise
ausgesprochen, indem es der erwähnten Bestimmung den Satz bei-
fügte: »Diese Vorschrift findet keine Anwendung auf Personen, welche
nach dem am Wohnsitze derselben geltenden Rechte nicht verbunden
sind, persönlich vor Gericht zu erscheinen oder in der betref-
fenden Sache Zeugnis abzulegen.« Soweit demnach ob-