490 $ 92. Die Zeugenpflicht.
jektiv eine Zeugenpflicht nach den Partikularrechten nicht bestanden
hat, ist eine solche auch durch das Rechtshilfegesetz nicht eingeführt
worden. Außerdem ist nicht zu übersehen, daß sich dieses Gesetz
überhaupt nur auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen be-
zieht und neben den Anordnungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und
der drei Reichsprozeßordnungen nur noch für diejenigen bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, welche nicht zur »ordentlichen«
streitigen Gerichtsbarkeit gehören, in Geltung steht, aber nicht auf
Verwaltungssachen anwendbar ist.
10. Nach diesen Erörterungen ist nun auch die ziemlich schwierige
Frage zu entscheiden, ob im Disziplinar verfahren gegen Beamte
eine erzwingbare Zeugnispflicht besteht und in welchem Umfange.
Hier ist zunächst der Gedanke abzuweisen, daß die Vorschriften der
Zivilprozeßordnung analoge Anwendung finden könnten, wie Do-
chow aa. 0. S.58 vorschlägt. Denn wenn es auch ganz richtig ist,
daß die Handhabung der Disziplinargewalt an Stelle der Kontrakts-
klage auf Leistung steht und den Zweck hat, die Erfüllung der Dienst-
pflicht des Beamten zu sichern‘), so ist doch eben die Disziplinar-
klage keine bürgerliche Kontraktsklage, sondern ein statt der-
selben gegebenes Mittel, und das Disziplinarverfahren ist keinesfalls
»eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit, welche vor die ordentlichen Ge-
richte gehörte.
Ebensowenig ist aber die Strafprozeßordnung an undfür sich
hier maßgebend. Das Disziplinarverfahren ist zwar dem Strafverfahren
nachgebildet und eine große Zahl der in der Strafprozeßordnung ent-
haltenen Regeln kann auf das Disziplinarverfahren Anwendung er-
halten, aber diese Ausdehnung setzt eine Anordnung des Gesetzgebers
voraus. Denn die Strafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 ist nicht,
wie vielfach behauptet wird ?), eine allgemeine Strafprozeßordnung,
welche für jedes auf Verhängung einer Strafe gerichtete Verfahren sub-
sidiär in Anwendung gebracht werden kann, sondern sie ist reichs-
gesetzlich nur eingeführt für diejenigen Strafsachen, welche
vor dieordentlichenGerichte gehören. Selbstwenn man
daher — was unrichtig wäre — die Disziplinarsachen als eine Unter-
art der Strafsachen ansehen wollte, so fehlt es bei ihnen doch immer
noch an der Voraussetzung, daß sie vor die ordentlichen Gerichte ge-
hören. Auch ist wohl zu beachten, daß, wenn man auch in pro-
zessualer Hinsicht die Adoptierung des in der Strafprozeßordnung
den ordentlichen Gerichten vorgeschriebenen Verfahrens seitens
anderer Behörden für unbedenklich erachten könnte, dies doch nicht
in gleicher Weise von den staatsrechtlichen Verpflichtungen
der Untertanen Geltung hat. Auf Grund der Strafprozeßordnung kann
daher ein Zeugniszwang im Disziplinarverfahren nicht geltend gemacht
1) Vgl. Bd. 1, S. 486 ff.
2) Vgl. die Erörterung in der Deutschen Verkehrszeitung 1877, S. 134 ff.