Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

$ 92. Die Zeugenpflicht. 495 
unbegründete Weigerung nach sich zieht, ist von dem ersuchten Ge- 
richt, und zwar nach dem Recht, welches im Gebiet desselben gilt, zu 
beurteilen, da es sich hier lediglich um Ausübung der Gerichtsgewalt 
desjenigen Staates handelt, in dessen Gebiet und unter dessen Schutz 
der Zeuge sich befindet. 
IV. Aus der dargelegten juristischen Natur der Zeugenpflicht als 
eines bloßen Reflexes der staatlichen Gerichtsgewalt ergibt sich noch 
ein anderer Unterschied gegen die Gerichtspflicht. Die letztere ist räum- 
lich beschränkt auf den Gerichtsbezirk, in welchem der Verpflichtete 
seinen Wohnsitz hat; die Zeugenpflicht dagegen erstreckt sich über das 
ganze Bundesgebiet, entsprechend der Gerichtsbarkeit der ordentlichen 
Gerichte. Es kann daher ein Gericht zwar der Regel nach nur innerhalb 
seines Bezirks einen Zeugen vernehmen und vereidigen, es kann aber 
den Befehl, sich vor ihm zur Erfüllung der Zeugenpflicht einzufinden, 
an jede im Bundesgebiet befindliche Person mit verbindlicher Kraft 
erlassen. Das Gericht hat daher hinsichtlich der außerhalb seines Be- 
zirks wohnhaften Zeugen die Wahl zwischen zwei Wegen zur Geltend- 
machung der Zeugenpflicht, entweder die Ladung behufs unmittel- 
barer Vernehmung, die durch die Mündlichkeit des Verfahrens und das 
Prinzip der freien Beweiswürdigung als die Regel geboten und in vielen 
Fällen unentbehrlich ist, oder die Requisition des zuständigen 
Amtsgerichts um Vernehmung des Zeugen zu Protokoll!). Ein Recht 
auf die letztere Art der Vernehmung haben die zeugenpflichtigen Per- 
sonen nicht; ausgenommen sind hiervon nur folgende Kategorien: 
1. Der Reichskanzler, die Minister eines Bundesstaates, die Mit- 
glieder der Senate der freien Hansestädte, die Vorstände der obersten 
Reichsbehörden und die Vorstände der Ministerien sind an ihrem Amts- 
sitze oder, wenn sie sich außerhalb desselben aufhalten, an ihrem Auf- 
enthaltsorte zu vernehmen. Zu einer Abweichung hiervon bedarf es 
in betreff des Reichskanzlers der Genehmigung des Kaisers, in betreff 
der Minister der Genehmigung des Landesherrn, in betreff der Mit- 
glieder der Senate der Hansestädte der Genehmigung des Senats, in 
betreff der übrigen vorbezeichneten Beamten der Genehmigung ihres 
unmittelbaren Vorgesetzten ?). 
2. Die Mitglieder des Bundesrats sind während ihres Aufenthaltes 
am Sitze des Bundesrates an diesem Sitze, und die Mitglieder einer 
deutschen gesetzgebenden Versammlung während der Sitzungsperiode 
1) Die Voraussetzungen, unter welchen die Vernehmung des Zeugen durch einen 
beauftragten oder ersuchten Richter (ausnahmsweise) angeordnet werden kann, sind 
normiert in der Strafprozeßordnung $ 222, in der Militärstrafgerichtsordnung $ 270 
und in der Zivilprozeßordnung $ 375. 
2) Strafprozeßordnung $ 49, Abs. 1 u. 3; Zivilprozeßordnung 8 382, Abs. 1 u. 3. 
Die Militärstrafgerichtsordnung $ 207 fügt außerdem noch hinzu, daß die komman- 
dierenden Generale (Admirale), sowie die im Range derselben oder in einem höheren 
Range stehenden Offiziere an ihrem Aufenthaltsorte zu vernehmen sind.
	        
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