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nach der Reichsverfassung ihnen zustehenden militärischen Hoheits-
rechte dem Könige von Preußen zur Ausübung übertragen
und sich nur gewisse Ehrenrechte von geringer staatsrechtlicher und
politischer Bedeutung vorbehalten haben. Durch diese freiwillige Ab-
tretung der in der Kontingentsherrlichkeit enthaltenen, durch die
Reichsverfassung den Landesherren zuerkannten Rechte an den König
von Preußen wird für diese Staaten tatsächlich derselbe
Zustand begründet, als hätte die Reichsverfassung ihnen die Militär-
hoheit und die Verwaltung ihrer Kontingente gänzlich entzogen
und das Heer ebenso wie die Marine zur Institution des Reiches ge-
macht. Für das Reich aber entsteht ein tatsächlich zwar sehr ein-
facher, juristisch aber sehr komplizierter Rechtszustand; denn das
Reich als solches hat durch die erwähnten Konventionen kein
weitergehendes Recht erlangt, als die Reichsverfassung ihm zu-
schreibt; alle von den Einzelstaaten aufgegebenen Rechte sind Preu-
Ben zugefallen; die Kontingente der erwähnten Einzelstaaten sind
nicht Reichstruppen geworden, sondern dem preußischen Kontingente
zugewachsen, sie stehen nicht unter Verwaltung des Reiches, sondern
unter preußischer Verwaltung‘), Während die Reichsverfassung von
dem Grundsatz ausgeht, daß es so viele Armeekontingente gibt, als
Bundesglieder vorhanden sind, ist durch die Militärkonventionen das
Resultat erzielt worden, daß nur vier getrennte Kontingente vorhan-
den sind, das preußische, bayerische, württembergische und königlich
sächsische. Das preußische Kontingent aber besteht aus Bestand-
teilen, deren Zugehörigkeit auf drei verschiedenen Gründen beruht:
der Kaiser ist als König von Preußen Kontingentsherr über die preu-
Bischen Truppen kraft seines Monarchenrechts (jure proprio),
über die elsaß-lothringischen Truppen kraft der Delegation der
landesherrlichen Rechte seitens des Reiches durch das Gesetz vom
9. Juni 1871, 8 3, über die Truppen der anderen Staaten kraft der
Zession seitens der Landesherren und Senate durch die Militär-
konventionen.
Obwohl in der angegebenen Beziehung sämtliche Konventionen
übereinstimmen ?), so enthalten sie doch im übrigen überaus mannig-
fache und voneinander abweichende Anordnungen, so daß ein völlig
gleichheitlicher Rechtszustand auch in den mit Preußen hinsichtlich
der Militärverwaltung verbundenen Gebieten durchaus nicht besteht.
Bei den betreffenden Lehren werden diese Bestimmungen Erwähnung
1) Die Behauptung von Bielefeld im Archiv für Öffentl. Recht Bd. 16,
S. 288 ff., daf3 durch die Militärkonvention mit Baden die badischen Truppen nicht
dem preußischen Kontingent angegliedert, sondern zum Reichskontingent gemacht
worden sind, steht mit dem Wortlaut der Konvention, den Grundsätzen der Reichs-
verfassung und den tatsächlich bestehenden Verhältnissen in schroffem Widerspruch.
2) Selbstverständlich mit Ausnahme der hier nicht in Rede stehenden württem-
bergischen und sächsischen.