8 106. Die gesetzliche Wehrpflicht. 161
2. Die Gegenleistung des Staates.
Die aktive Dienstpflicht absorbiert wegen der in ihr enthaltenen
unbeschränkten Gehorsamspflicht die persönliche Kraft und Leistungs-
fähigkeit des Pflichtigen in dem Maße, daß er der Regel nach gänzlich
außerstande ist, daneben seinem bürgerlichen Beruf sich zu widmen
und eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Aus diesem Grunde lastet auf
dem sStaate die Verpflichtung, die im aktiven Dienst befindlichen
Wehrpflichtigen zu erhalten. Der Anspruch des Wehrpflichtigen
ist aber kein Anspruch auf Lohn, auf Bezahlung der Dienste, wie er
bei der Dienstmiete begründet ist, sondern auf Alimentierung:'!).
Die Erfüllung der Dienstpflicht ist daher trotz der Verpflegung der
Mannschaften auf Kosten des Staates eine unentgeltliche Lei-
stung der Wehrpflichtigen; sie ist keine Erwerbstätigkeit, keine be-
zahlte Arbeit. Aus der Natur der Wehrpflicht als einer staatsbürger-
lichen oder Untertanenpflicht ergibt sich dies von selbst; es ist aber
von Wichtigkeit für das Verständnis des juristischen Charakters der
Wehrpflicht, dies klar zu erkennen. Damit der Staat seine wesent-
lichste Aufgabe, nämlich Schutz gegen äußere Feinde und Aufrecht-
erhaltung der Rechtsordnung im Innern, wirksam erfüllen könne,
fordert er von allen dazu geeigneten Untertanen die Militärdienste.
Die wahre Gegenleistung des Staates für dieselben
isteben dieser Schutz nach Außen und Innen. Lei-
stung und Gegenleistung sind gleichartig; sie sind beide unschätz-
bar, unentgeltlich, von durchaus öffentlich-rechtlicher Natur. Aber
eine tatsächliche Folge der Erfüllung der Dienstpflicht besteht
in einer zeitweisen Beeinträchtigung oder Vernichtung der Erwerbs-
tätigkeit. Der Staat, welcher durch die Anforderung des aktiven Mi-
litärdienstes den Wehrpflichtigen außerstande setzt, seinen Unterhalt
zu erwerben, sieht sich dadurch genötigt, die Fürsorge für diesen
Unterhalt selbst zu übernehmen. Von diesem Prinzip aus ergibt sich
der eigentümliche Rechtscharakter dieser Leistung des Staates. Es
hängt nämlich von dem alleinigen Belieben des Staates ab, in wel-
chem Maße und in welcher Art und Weise er dem Dienstpflichtigen
den Unterhalt gewähren will; der eigene Wille des Dienstpflichtigen
kommt hierbei in keiner Hinsicht in Betracht. Der Dienstpflichtige
hat deshalb keine zivilrechtliche Klage gegen den Staat auf Gewäh-
rung des Unterhaltes oder auf Gewährung bestimmter Leistungen, und
es gibt kein Gericht, welches bei einem Streit zwischen dem Staat
und dem Dienstpflichtigen das angemessene Maß der Verpflegung usw.
feststellen könnte. Hierdurch unterscheidet sich der Anspruch des
1) Hierin liegt ein bedeutsamer Gegensatz zwischen dem System der gesetzlichen
Wehrpflicht und dem Werbesystem. Eine Erinnerung an das letztere hat sich jedoch
darin erhalten, daß die regelmäßige bare Geldzahlung, welche der Wehrpflichtige
während des aktiven Dienstes bezieht, den technischen Namen „Löhnung“ führt
im Gegensatz zu dem „Gehalt“ der Offiziere, Aerzte, Beamten usw.