Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

366 8 116. Die Reichsschulden. 
Die über die Reichsanleihen geltenden Rechtsgrundsätze sind, ab- 
gesehen von den in der Reichsverfassung enthaltenen Vorschriften, für 
jede einzelne Anleihe besonders festgesetzt worden; zuerst durch das 
Bundesgesetz vom 9. November 1867 (Bundesgesetzbl. S. 157) und das 
Abänderungsgesetz vom 6. April 1870 (Bundesgesetzbl. S. 65), durch 
welches an die Stelle der amortisierbaren Anleihe die konsolidierte An- 
leihe (Rente) gesetzt wurde. Diese Gesetzesbesimmungen wurden in 
dem Gesetz vom 27. Januar 1875, 8 2 (Reichsgesetzbl. S. 18) auf die 
Anleihe, zu deren Abschluß der Reichskanzler durch dieses Gesetz er- 
mächtigt wurde, für anwendbar erklärt, und dies wurde in allen fol- 
genden Anleihegesetzen wiederholt. Endlich wurden die hinsichtlich 
der Reichsanleihen zur Anwendung kommenden Rechtsvorschriften 
in der Reichsschuldenordnung vom 19. März 1900 (Reichs- 
gesetzbl. S. 129) zusammengefaßt und für alle nach Erlaß dieses Ge- 
setzes zur Ausgabe gelangenden Anleihen für anwendbar erklärt '). 
Unter diesen Rechtsgrundsätzen sind drei Gruppen zu unterschei- 
den. Man kann sie einander gegenüberstellen als die verfassungs- 
rechtlichen, die privatrechtlichen und die verwaltungsrechtlichen; die 
ersteren betreffen die rechtlichen Voraussetzungen, unter welchen die 
Reichsregierung eine Anleihe aufnehmen darf; die zweiten beziehen 
sich auf das Verhältnis des Reichsfiskus zu den Darlehensgläubigern ; 
die dritten haben die Verwaltung der Reichsschuld, ihre Kontrolle, 
Rechnungslegung usw. zum Gegenstande. 
1. Die verfassungsrechtlichen Grundsätze. 
a) Die Aufnahme einer Anleihe ist der Abschluß eines pri- 
vatrechtlichenGeschäfts, also ein Verwaltungsakt; sie 
kann niemals, nach keiner Verfassung und unter keinen Umständen, 
ein Akt der Gesetzgebung sein, weil es sich gar. nicht um einen ein- 
seitigen Willeusakt des Staates, sondern um einen Vertrag des Fiskus 
mit Dritten handelt. Eine Anleihe »beruht« daher niemals auf einem 
Gesetz, sie wird niemals »durch ein Gesetz« oder »im Wege eines 
Gesetzes« aufgenommen, sondern stets im Wege der Verwaltung und 
in der Form des bürgerlichen Rechtsverkehrs *).. Demgemäß drückt 
gesetzgebung undim Verkehr speziellmitdem Namen „Reichs- 
anleihe* bezeichnet. 
1) Auf die vor dem Inkrafttreten der Reichsschuldenordnung ausgestellten Schuld- 
verschreibungen finden die Vorschriften der früheren Anlehensgesetze Anwendung, 
insoweit sie zugleich den vertragsmäßigen Emissionsbedingungen 
zugrunde liegen, und im übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs und 
der Zivilprozeßordnung. Reichsschuldenordnung 8 21. Die Reichsschuldenordnung 
ist hinsichtlich der Schatzanweisungen ergänzt worden durch das oben zitierte Reichs- 
gesetz vom 22. Februar 1904 (Reichsgesetzbl. S. 66). 
2) Sie bildet in dieser Hinsicht den Gegensatz zur Kontribution; die so- 
genannte Zwangsanleihe ist eine Unterart der letzteren; ihre Bezeichnung als 
„Zwangsanleihe“, die in sich selbst einen Widerspruch enthält, ist eine scherzhafte 
oder sarkastische.
	        
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