Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

$ 116. Die Reichsschulden. 367 
sich der Art. 73 der Reichsverfassung nicht korrekt aus, wenn er be- 
stimmt: | 
»In Fällen eines außerordentlichen Bedürfnissess kann im 
Wege der ReichgsetzgebungdieAufnahmeeiner 
Anleihe... zu Lasten des Reiches erfolgen. 
Der »Weg der Reichsgesetzgebung« führt niemals bis zur Aufnahme 
einer Anleihe, weil er nicht bis zu den Kreditgebern führt, sondern 
ein Stück vorher aufhört. Der selbstverständliche und zweifellose 
Sinn des Artikels ist vielmehr, daß die Regierung für den Verwaltungs- 
akt der Kreditbeschaffung die im Wege der Gesetzgebung zu erteilende 
Zustimmung des Bundesrates und Reichstages bedarf'). Ein »Anleihe- 
gesetz« (in diesem Sinne) hat daher auch niemals einen materiellen 
Rechtsinhalt, stellt keine Rechtsregel weder des öffentlichen noch 
des privaten Rechts auf, sondern es enthält lediglich die Ermächti- 
gung der Reichsregierung zum Abschluß eines bestimmfen einzelnen 
Rechtsgeschäftes: es ist ein formelles Gesetz, dessen Inhalt eine Ver- 
waltungsmaßregel betrifft. Dem entspricht die stereotype Formel, 
welche in sämtlichen Anleihegesetzen des Norddeutschen Bundes 
und des Deutschen Reiches für den Hauptparagraphen derselben ver- 
wendet wird. Sie lautet: 
»Der Reichskanzler wird ermächtigt, die zur Bestreitung 
der... Ausgaben erforderlichen Geldmittel bis zur Höhe von 
... Mark im Wege des Kredits flüssig zu machen und zu die- 
sem Zweck in dem Nominalbetrage, wie er zur Beschaffung 
jener Summe erforderlich sein wird, eine verzinsliche ... An- 
leihe aufzunehmen und Schatzanweisungen auszugeben.« 
In Uebereinstimmung hiermit steht auch an der Spitze der Reichs- 
schuldenordnung der Satz, daß die Bereitstellung der außerordent- 
lichen, im Wege des Kredits zu beschaffenden Geldmittel auf Grund 
einer gesetzlichen Ermächtigung des Reichskanzlers er- 
folgt... durch Aufnahme einer verzinslichen Anleihe oder durch 
Ausgabe von Schatzanweisungen. Die Ermächtigung des Reichskanz- 
lers ist in dreifacher Richtung beschränkt, zunächst hinsichtlich der 
Höhe der zu beschaffenden Summe, sodann ob die Geldbeschaffung 
in Form der verzinslichen Anleihe oder der Ausgabe von Schatzschei- 
nen erfolgen soll, endlich durch die Vorschrift, daß die Anleihe eine 
konsolidierte, d. h. keiner regelmäßigen Tilgung unterliegende Ren- 
—--— [0 [. 
1) Nach Arndt, S. 441, bedarf „das Rechtsgeschäft des Darlehens der Form 
des Gesetzes“ und die Regierung darf nur „im Wege der Gesetzgebung kontrahieren“. 
Eine solche Ausdrucksweise bekundet allerdings eine souveräne Mißachtung aller 
theoretischen Rechtsbegriffe.. Wie steht es mit dem „Kontrahieren im Wege der 
Gesetzgebung“, wenn der Reichskanzler von der ihm erteilten Ermächtigung keinen 
Gebrauch macht? In diesem Falle kommt doch keine Reichsschuld zur Entstehung; 
also nicht das Gesetz, sondern der auf Grund gesetzlicher Ermächtigung abgeschlossene 
Vertrag bringt die Verpflichtung des Reichsfiskus hervor.
	        
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