542 8 129. Die Wirkungen des Etatsgesetzes.
ist, sondern den höchsten Organen des Reichswillens zusteht. Aus
diesem Grunde ist der Reichstag formell befugt, sämtliche Etatsüber-
schreitungen zu prüfen und zu genehmigen; materiell reduziert sich
die Genehmigung derjenigen Mehrausgaben, die eine notwendige Folse
faktischeı' Verhältnisse, z. B. einer eingetretenen Preissteigerung oder
eines größeren Umfangs der Reichsbetriebsanstalten, sind, auf die An-
erkennung dieser Tatsache.
Aus dieser Erwägung bestimmt sich zugleich der Begriff der Etats-
überschreitung nach einer anderen Beziehung. Es ist irrelevant, wel-
ches finanzielle Gesamtergebnis die Staatsrechnung aufweist. Wenn
die Mehrausgabe bei einer Position durch die Minderausgabe bei einer
anderen gedeckt wird, so tritt zwar in finanzieller Hinsicht eine Kon-
pensation ein, aber dadurch wird nicht die Abweichung vom Etat
aufgehoben, sondern es sind zwei Abweichungenin entgegen-
gesetzter Richtung vorhanden, so daß für eine derselben oder
selbst für beide die Verantwortlichkeit der Verwaltung bestehen blei-
ben kann. Nur soweit im Etat die Unterverteilung einer Summe der
Regierung überlassen oder die gegenseitige Uebertragbarkeit zweier
Summen zugestanden worden ist, reicht für die Regierung die Frei-
heit der Bewegung. Nicht auf die Gesamtsumme, welche die in ein-
zelnen Titeln und Kapiteln zusammengefaßten Positionen mit arith-
metischer Notwendigkeit ergeben, sondern auf die selbständigen Be-
willigungen bestimmter Summen zu bestimmten Zwecken kommt es
bei der Begrifisbestimmung der Etatsüberschreitungen an').
2. Die materiellen oder qualitativen Abweichungen
vom Etatsgesetz sind: Die Nichterhebung einer etatsmäßigen Einnahme
oder die Erhebung einer im Etat gar nicht aufgeführten Einnahme,
sowie die Nichtleistung einer etatsmäßigen Ausgabe oder die Leistung
einer außeretatsmäßigen Ausgabe.
a) Die Nichterhebung einer etatsmäßigen Einnahme darf nicht vor-
kommen, soweit die Einnahmen durch Gesetze normiert sind, deren
Ausführung von der Regierung nicht suspendiert werden darf, wie
Zoll- und Steuergesetze und Gebührentarife?.. Wohl aber kann die
Regierung eine Einnahme unerhoben lassen, zu deren Erhebung sie
nicht gesetzlich verpflichtet, sondern nur ermächtigt war. Dies
gilt namentlich von der Begebung von Anleihen und von der
Verwendung von Reichsfinanzvermögen zu Verwaltungszwecken. Wenn
die übrigen Einnahmequellen unerwartet hohe Erträge abwerfen, wenn
gewisse etatsmäßige Ausgaben unterbleiben müssen, oder wenn die
1) Siehe oben S. 539.
2) Es ist hier nur die Rede davon, daf eine gesetzlich begründete, im Etats-
gesetz aufgeführte Einnahmequelle als solche von der Regierung unbenutzt gelassen
wird, nicht von dem davon gänzlich verschiedenen, mit dem Etatsgesetz überhaupt
nicht kollidierenden Falle, daß einzelne (konkrete) Abgaben- oder Gebührenbe-
träge erlassen, niedergeschlagen oder erstattet werden. Vgl. hierüber unten $ 13l-