Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

552 & 130. Die Verwaltung ohne Etatsgesetz. 
Allein wenn män auch von diesem Bedenken absehen will, da 
auch ein der Verfassung widersprechendes Gesetz rechtsgültig zustande 
kommt, wenn nicht 14 Stimmen im Bundesrat Widerspruch erheben, 
so ist die Frage damit nicht erledigt. Denn dieses Auskunftsmittel 
wirkt nur in dem Falle der Verspätung der Feststellung des Etatsge- 
setzes, dagegen nicht, wenn sachliche Meinungsverschiedenheiten zwi- 
schen Bundesrat und Reichstag derselben entgegenstehen und so gut 
wie das Etatsgesetz selbst kann auch das Gesetz über die vorläufige 
Regelung des Reichshaushalts an Hindernissen aller Art scheitern. 
ll. Geht man von der Vorstellung aus, daß das Budgetgesetz die 
alleinige und ausschließliche gesetzliche Grundlage für die Finanzwirt- 
schaft sei, daß nur durch das Budgetgesetz die Regierung staatsrecht- 
lich ermächtigt werde, Ausgaben zu leisten und Einnahmen zu erhe- 
ben !), so kommt man folgerichtig zu dem Resultat, daß, wenn ein 
Budgetgesetz nicht zustande kommt, die Finanzwirtschaft, d. h. über- 
haupt die staatliche Tätigkeit stille stehen muß?). An dieser absurden 
Konsequenz erweist sich die Unrichiigkeit der Theorie; denn sie be- 
deutet die Desorganisierung und Auflösung des Staates. Hält man 
dagegen an der oben dargelegten Bedeutung des Etatsgesetzes fest, 
nämlich daß die spezifische Rechtswirkung darin besteht, daß die Re- 
gierung im voraus von ihrer Verantwortlichkeit ent- 
lastet wird, soweit sie sich innerhalb der Ansätze des Etats hält, 
so ergibt sich als logischnotwendige Schlußfolgerung, daß beim Mangel 
eines Etatsgesetzes diese Wirkung nicht eintritt; also nicht, daß 
die Regierung die Verwaltungstätigkeit einstellen müsse, sondern 
daß sie dieselbe aufeigeneVerantwortlichkeitfortführt?). 
Hierbei handelt es sich um die Verantwortlichkeit im Sinne des kon- 
stitutionellen Staatsrechts, d. h. um die Verantwortlichkeit 
des Reichskanzlers gegen den Bundesrat und den 
Reichstag. Die eiwa begründete zivilrechtliche oder strafrechtliche 
Verantwortlichkeit von Beamten hat ihre besonderen Voraussetzungen 
und steht mit dem Etatsgesetz in keinem Zusammenhange®). Auch 
die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gegen den Kaiser kopımt 
in dieser Hinsicht nicht in Betracht. Sie besteht zwar im vollen Maße, 
aber als ein integrierender Bestandteil der allgemeinen Dienst- und 
1) Dies galt früher als „konstitutionell* und wurde a priori als Axiom hinge- 
stellt. Vgl. die aus dem Jahre 1862 stammende Ausführung von Lasker, Zur Ver- 
fassungsgeschichte Preußens 1874, S. 3855 ff. Diese Theorie hat auch jetzt noch zahl- 
reiche Anhänger. Vgl. die kritischen Erörterungen unten im „Anhang“. Historisch 
knüpft diese Theorie an die anarchischen und jede feste Rechtsordnung negierenden 
Zustände und Anschauungen der französischen Revolution an. 
2) Vgl. mein Budgetrecht S. 76 ff. Uebereinstimmend Schulze in Grünhuts 
Zeitschrift S. 196 und Preuß. Staatsrecht I, S. 591 fg. 
3) Vgl. Frickera. a. O. S. 406. 
4) Vgl. die sehr zutreffende Ausführung des Reichsgerichts im Urteil vom 
9. April 1885 (Entscheidungen in Zivilsachen Bd. 13, S. 261 fg.).
	        
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