& 150. Die Verwaltung ohne Etatsgesetz. 553
Gehorsamspflicht des Reichskanzlers und aller ihm untergeordneten
Behörden. Von dieser Verantwortlichkeit wird die Reichsregierung
durch einen Dienstbefehl, eine Instruktion, einen durch kaiserliche
Verordnung festgesetzten Etat entlastet; ein solcher durch Verordnung
festgestellter Etat hat aber nicht die spezifische Bedeutung eines Etats-
gesetzes und kann dasselbe in keiner Weise vertreten, da das Etats-
gesetz nicht das Verhältnis des Reichskanzlers zum Kaiser, sondern
das Verhältnis des Reichskanzlers zum Bundesrat und zum Reichstag
betrifft. Von der konstitutionellen Verantwortlichkeit gegen Bundes-
rat und Reichstag kann der Reichskanzler nur von diesen Körper-
schaften selbst entlastet werden )).
Den Maßstab für die Beurteilung dieser Verantwortlichkeit bei dem
Fehlen eines Etatsgesetzes gibt nun die Unterscheidung zwischen den
Einnahmen und Ausgaben, zu welchen die Regierung nur durch
den Etat ermächtigt wird, und denjenigen Befugnissen, welche die
Regierung auf Grund dauernd wirksamer Gesetze hat, die also
durch das Etatsgesetz nicht begründet, sondern nur in ihrer finanziel-
len Bedeutung anerkannt werden. Die letzteren können ihr durch
das bloße Nichtzustandekommen des Etats, also durch das Nichthin-
zutreten eines neuen formalen Rechtsgrundes, nicht entzogen werden,
da es einer alljährlichen Prolongation oder Bestätigung dieser Befug-
nisse nicht bedarf?).. Aus diesem Prinzip ergeben sich hinsichtlich
der Ausgaben und Einnahmen folgende Konsequenzen:
1. Die Ausgaben zerfallen mit Beziehung auf das Bewilligungs-
recht des Bundesrats und des Reichstags, wie oben S. 931 ff. ausge-
führt worden ist, in zwei Kategorien, rechtlich notwendige und will-
kürliche.
a) Als »notwendige« im staatsrechtlichen Sinne sind nur die-
jenigen Ausgaben zu bezeichnen, zu deren Leistung die Regierung ge-
setzlich verpflichtet ist. Dahin gehören teils die gültig entstandenen
vermögensrechtlichen Verpflichtungen des Fiskus, teils die ihr gesetz-
lich obliegenden Verwaltungsaufgaben, die persönlichen und sachlichen
Kosten der gesetzmäßig konstituierten Behörden, die Instandhaltung
1) Vgl. oben S. 538. Der Ersatz eines Etatsgesetzes durch eine Notverordnung
ist daher der Sache nach ausgeschlossen, und zwar nicht nur für das Reich,
dessen Verfassung Notverordnungen überhaupt nicht kennt, sondern auch für Preußen.
Siehe mein BudgetrechtS.80fg. Dies ist auch in der Theorie allgemein an-
erkannt.
2) Die Vertreter der hier bekämpften Theorie freilich behaupten, daß Gesetze,
welche staatliche Institutionen dauernd normieren, hinsichtlich der hierfür erforder-
lichen finanziellen Mittel „eines alljährlich zuerneuerndenAusführungs-
gesetzes“ bedürfen. Danach gäbe es im Staate überhaupt gar keine dauernden
Institutionen und keine fortgeltenden Gesetze, sondern der gesamte Rechtszustand
des Staates wäre von Jahr zu Jahr in Frage gestellt und würde immer nur für eine
Etatsperiode prolongiert. Vgl. darüber meine Ausführungen im Archiv für öffent-
liches Recht Bd. 1, S. 172 ff. und unten im Anhang.