$ 131. Die Rechnungskontrolle und Entlastung der Verwaltung. 575
den Einzelstaaten überlassen ist, so haben die Kontingentsherren alle
mit dieser Verwaltung verbundenen Rechte auszuüben, soweit sie nicht
ausnahmsweise dem Kaiser übertragen sind. Hiernach sind — da
Bayern nicht in Betracht kommt — die finanziellen Gnadenbewilli-
gungen, Niederschlagungen usw. von den Königen von Preußen,
Sachsen und Württemberg für ihre Kontingente zu bewilligen und von
den betreffenden Kriegsministern zu kontrasignieren. Dies ent-
spricht auch der bisher beobachteten Praxis und ist schließlich auch
von der Rechnungskommission des Reichstages und von der Reichs-
regierung anerkannt worden ').
Dem Kaiser steht aber die Ueberwachung dieser Kontingents-
verwaltung zu und der Reichskanzler ist für dieselbe verantwort-
lich. Die Aufsicht des Reichskanzlers ist auch in der Richtung aus-
zuüben, daß mit solchen Gnadenakten kein Mißbrauch getrieben wird
und daß durch sie nicht Reichsinteressen verletzt werden. Zur Ueber-
nahme dieser Verantwortlichkeit bedarf es aber keiner Kontrasignatur,
die überhaupt für die Beaufsichtigung der Verwaltung der Ein-
zelstäaten eine unanwendbare Form ist; sondern der Reichskanzler
übernimmt diese Verantwortung durch Ueberreichung der Rechnungen
an den Bundesrat und Reichstag mit dem Antrage auf Erteilung der
Entlastung °).
VI. Die Aufgabe des Rechnungshofes ist im konstitutionellen
Staate nicht darauf beschränkt, die Finanzverwaltung im Verwal-
tungsinteresse zu kontrollieren und zu revidieren, sondern auch
unter den obersten Organen des Staates selbst den gro-
Ben Schlußakt der ganzen Finanzverwaltung, die definitive Legung und
Abnahme der Rechnung über den Staatshaushalt vorzubereiten.
Dieser Rechtsakt selbst kann nur erfolgen zwischen dem verantwort-
lichen Chef der Verwaltung einerseits als Rechnungsleger und den ver-
fassungsmäßig zur Feststellung des Staatshaushaltsetats berufenen Or-
ganen andererseits, also im Reich zwischen dem Reichskanzler und
dem Bundesrate und Reichstage. Der Anteil des letzteren an der Auf-
l) Vgl. Jo&l S. 838 ff. und die sehr eingehenden Erörterungen in dem Bericht
der Rechnungskommission des Reichstages vom 17. Januar 1890 (Drucksachen Nr. 126).
Der Reichstag hat in der Sitzung vom 20. Januar 1890 den Bericht an die Kommission
zurückverwiesen, diese aber hat nach nochmaliger ausführlicher Verhandlung unter
Zustimmung der Vertreter der Regierung die oben entwickelte Ansicht gebilligt.
Vgl. den Bericht in den Drucksachen 1890/91, Nr. 463; derselbe enthält
auch eine Darstellung der ganzen historischen Entwicklung der Streitfrage.
2) Jo&l S. 843 fg. In der Session von 1885/86 hat der Reichstag beschlossen,
die Entlastung unter dem Vorbehalt zu erteilen, daß der Reichskanzler die Verant-
wortlichkeit für die ergangenen Kabinettsordres des Kaisers durch deren Gegenzeich-
nung nachträglich übernimmt. Drucksache Nr. 225 und 304. Stenogr. Berichte
S. 1896, 2027, 2176 ff. Dieser Beschluß widerspricht sich selbst; denn die Entlastung
bewirkt die Aufhebung der Verantwortlichkeit; hier aber wird die Aufhebung
an die Bedingung geknüpft, daß sie übernommen wird; sie soll aufhören mit dem
Vorbehalt, daß sie anfängt.