Anhang. Die neuere deutsche Literatur über das Budgetrecht. 585
Hiernach ist die Verweigerung des Budgets das verfassungsmäßige
Mittel, durch welches die Majorität des Parlaments das Ministerium
stürzen kann, und demgemäß ist die Lösung des Konflikts einfach in
dem Rücktritt des Ministeriums gegeben. In der Tat entspricht dies
der Ansicht und den Tendenzen großer politischer Parteien und ist
die Quintessenz aller Theorien, welche in dem Budgetgesetz die Er-
mächtigung der Regierung zur Leistung von Ausgaben sehen!). Es
gibt nun unleugbar Staaten, in welchen das Ministerium das Exekutiv-
komitee des Parlaments ist und sein Verbleiben im Amte von der Parla-
mentsmajorität abhängt. In solchen Staaten genügt zum Sturz des Mini-
steriums jede, ein Mißtrauensvotum in sich schließende »Tagesord-
nung«, jede Zurückweisung einer wichtigen Vorlage, jede erhebliche
Nichtbewilligung eines Einnahme- oder Ausgabepostens. Die Verwer-
fung des Budgetgesetzes im ganzen ist dazu gar nicht erforderlich und
in England, wo sich das Parlament im sicheren Besitz seiner politi-
schen Macht fühlt, nicht üblich. In Frankreich und Belgien dagegen,
wo man nach einer Revolution den Staat neu einrichtete und der neu-
gewonnenen, historisch nicht fundierten Macht des Parlaments nicht
traute, hielt man ein Mittel für erforderlich, welches unter allen Um-
ständen die Regierung der im Parlament herrschenden Partei unter-
wirft, und dazu war freilich der Satz, daß die Regierung Einnahmen
und Ausgaben nicht machen darf, wenn das Parlament sie nicht jähr-
lich bewilligt, überaus geeignet. Das preußische Recht und das Recht
des Deutschen Reiches aber wissen nichts von dem Grundsatz, daß
das Ministerium das »Vertrauen« der Volksvertretung brauche, daß es
aus der Partei genommen werden müsse, welche über die Majorität
im Parlament verfügt, daß es zur Führung der Regierungsgeschäfte
außer der Ernennung von seiten des Königs, beziehungsweise Kaisers,
auch noch die jährliche Genehmigung seitens des Abgeordnetenhauses,
beziehungsweise Reichstages, bedürfe ’). Ob einige Redner in den preu-
ßischen Kammern von 1849 und 1850 den französisch-belgischen Ideen
gehuldigt haben oder nicht, ist völlig unerheblich; das verfassungs-
mäßige preußisch-deutsche Staatsrecht kennt keine parlamentarische,
sondern nur eine königliche und kaiserliche Regierung.
Ueberdies setzt die praktische Durchführung jener Theorie voraus,
daß die politische Macht und der ausschlaggebende Wille bei einer
parlamentarischen Körperschaft ist; in Preußen sind aber Abgeord-
netenhaus und Herrenhaus, im Reiche Bundesrat und Reichstag
gleichberechtigte Faktoren der Gesetzgebung. Endlich müßte
die Doktrin, daß durch das Budgetgesetz nur dem im Amt befindlichen
1) Vgl. in dieser Hinsicht namentlich Seidler.a. a. O. 231fg.; ferner Gierke
in Schmollers Jahrb. Bd. 7, S. 1150 fg. E. Schwartz, Verf.-Urk. für den preuß.
Staat, S. 305.
2) Vgl. Zachariä in den Göttinger Gel. Anzeigen 1871, S. 379 und meine
Ausführung im Archiv für öffentliches Recht Bd. 1, S. 193 ff.