Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

Anhang. Die neuere deutsche Literatur über das Budgetrecht. 599 
sche Methode kennt keine Schwierigkeiten; denn sie hat dafür das 
Universalmittel der Petitio principii. Der Art. 69 der Reichsverfassung, 
welcher bestimmt, daß alle Einnahmen und Ausgaben jährlich auf 
den Reichshaushaltsetat gebracht werden und letzterer durch ein Ge- 
setz festgestellt wird, soll diesen Sinn haben, daß dadurch die Regie- 
rung verpflichtet wird, alle Einnahmen und Ausgaben zu bewirken 
und nur so zu bewirken, wie es das Etatsgesetz verlangt. Deshalb 
sei das Etatsgesetz die notwendige und unerläßliche Voraussetzung für 
alle Einnahmen und Ausgaben, nicht die einzige — wie Hänel 
S. 327 ff. vorsichtig hinzufügt — aber »die ergänzende und ver- 
fassungsmäßig notwendige Ermächtigung für die Finanzverwaltung 
behufs der Verwendung aller voraussehbaren Einnahmen und behufs 
der Bewirkung aller voraussehbaren Ausgaben des Etatsjahres«. Ob 
dies der Sinn des Art. 69 der Reichsverfassung ist und sein kann, ist 
aber eben die Streitfrage. So lange die Sprache mit einem bestimmten 
Worte einen bestimmten Sinn verbindet, wird man annehmen dürfen, 
daß die jährliche »Veranschlagung« aller Einnahmen und Ausgaben 
nicht gleichbedeutend ist mit der jährlichen Ermächtigung zur Be- 
wirkung von Einnahmen und Ausgaben. Die Unvereinbarkeit der 
Hänelschen Auslegung des Art. 69 mit seinen eigenen Theorien er- 
gibt sich daraus, daß die Nichtaufnahme einer gesetzlich begründeten 
Einnahme oder Ausgabe in das Etatsgesetz eine Aufhebung des 
betreffenden Gesetzes oder wenigstens eine Suspension desselben 
für das Etatsjahr bewirken, also unzweifelhaft ein Gesetzgebungsakt 
sein würde; da derselbe aber nicht in positiver Weise formuliert, aus- 
gefertigt und verkündet, sondern nur aus dem Stillschweigen des Etats- 
gesetzes zu entnehmen sein würde, so hätten wir auch hier wieder 
Gesetze ohne Gesetzesform, ja sogar stillschweigend erlassene 
Gesetze '). Alles, was der Verfasser über das Verhältnis von Ver- 
fassungsgesetzen zu anderen Gesetzen noch beifügt, ist unerheblich, 
wenn man den Art. 69 in dem Sinne nimmt, den sein Wortlaut und 
seine Herübernahme aus der preußischen Verfassung ergeben; die 
Richtigkeit dieser Ausführungen kann daher unerörtert bleiben und 
ich will hier nur der Mißdeutung vorbeugen, als ob ich dieselben 
nach irgend einer Richtung hin für zutreffend hielte. 
Um diese Erörterungen nicht übermäßig auszudehnen, übergehe 
ich die Ausführungen des Verfassers darüber, inwieweit das Etatsgesetz 
des Reiches den Maßstab der konstitutionellen Verantwortlichkeit des 
Reichskanzlers bildet. Denn obgleich nach meiner Ansicht auch hier 
vieles schief und unrichtig ist und vieles andere im Widerspruch mit 
anderen Ausführungen des Verfassers steht, so bin ich doch in der 
Hauptsache hier mit dem Verfasser einverstanden; nur daß ich in 
diesem Maßstabe der Verantwortlichkeit ebensowenig »Rechtssätze« er- 
1) Vgl. auch die richtigen Ausführungen von Bornhaka.a. O.
	        
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