604 Nachträge. I. Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913.
welche durch die Vormundschaftsbehörde ersetzt werden kann, wenn
der Mann durch Abwesenheit oder Krankheit an der Erteilung der
Zustimmung gehindert ist oder ihre Versagung einen Mißbrauch seines
Rechts darstellt. Für die unter elterlicher Cewalt oder unter Vor-
mundschaft stehenden Personen wird eine bemerkenswerte Unter-
scheidung gemacht. Wenn sie das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet
haben, ist der Antrag von dem gesetzlichen Vertreter zu stellen; haben
sie aber das 16. Lebensjahr vollendet, so haben sie den Antrag selbst
unter Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zu stellen. Diese Zu-
stimmung kann von der Vormundschaftsbehörde nicht ersetzt werden.
9. Die Einbürgerung (Naturalisation) ist die Verleihung der
Staatsangehörigkeit an einen Ausländer von demjenigen Bundesstaat,
in dessen Gebiet der Ausländer sich niedergelassen hat!). Der $8 des
Staatsangehörigkeitsgesetzes entspricht dem $ 8 des Gesetzes von 1870
(siehe Bd. I S.170fg.) mit folgenden Abweichungen. Der unbeschränkten
Geschäftsfähigkeit des Ausländers nach den Gesetzen seiner bisherigen
Heimat ist gleichgestellt, daß er nach den deutschen Gesetzen un-
beschränkt geschäftsfähig sein würde oder daß der Antrag für eine
unter elterlicher Gewalt oder unter Vormundschaft stehende Person
in entsprechender Anwendung des $ 7, Abs. 2, Satz 2 gestellt wird.
Während ferner das Gesetz von 1370 sich damit begnügte, daß der
Antragsteller sich im Gebiet des Bundesstaates niederlassen will, er-
fordert das Staatsangehörigkeitsgesetz, daß die Niederlassung bereits er-
folgt ist?). Die Vorschriften des 8 16, Abs.1 und 2 über die Aufnahme
gelten auch für die Einbürgerung.
Im Anschluß an einen Bundesratsbeschluß vom 22. Januar 1891 °)
bestimmt das Staatsangehörigkeitsgesetz 89, Abs. 1, daß die Einbürge-
rung in einem Bundesstaat erst erfolgen darf, nachdem durch den
Reichskanzler festgestellt worden ist, daß keiner der übrigen Bundes-
staaten dagegen Bedenken erhoben hat; erhebt ein Bundesstaat Be-
denken dagegen, so entscheidet der Bundesrat *). Die Bedenken kön-
nen nur auf Tatsachen gestützt werden, welche die Besorgnis recht-
fertigen, daß die Einbürgerung des Antragstellers das Wohl des Reichs
oder eines Bundesstaats gefährden würde°). Die Erledigung des Ein-
1) Ausländer sind sowohl die Angehörigen eines außerdeutschen Staats als die
Staatlosen und die Eingeborenen der Schutzgebiete, denen nicht die unmittelbare
Reichsangehörigkeit erteilt ist; sie sind keine „Deutsche“.
2) LenelS.5Sp.2a.E RomenS.4l.
3) Abgedruckt bei Cahn S. 71.
4) Ein Veto gegen die Einbürgerung haben die Bundesstaaten nicht; da sie aber
zur Gewährung der Einbürgerung nicht verpflichtet sind, so dürfte ein von einer
Regierung, namentlich der preußischen, erhobenes Bedenken die Ablehnung der Ein-
bürgerung stets zur Folge haben und es zu einer Entscheidung des Bundesrats wohl
niemals kommen. LenelS. 6.
5) Aus der Zugehörigkeit des Antragstellers zu einer bestimmten Religions-
gemeinschaft soll ein Bedenken gegen die Einbürgerung nicht hergeleitet werden