612 Nachträge. I. Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913.
völkerung reichsunmittelbar sei, während die weit überwiegende Masse
reichsmittelbar ist !).
Wo die Voraussetzungen der Staatsangehörigkeit, also der mittel.
baren Reichsangehörigkeit verwirklicht sind, ist der Erwerb der un-
mittelbaren Reichsangehörigkeit ausgeschlossen. Daher kann ein Findel-
kind die unmittelbare Reichsangehörigkeit nicht erwerben, da es als
Angehöriger des Bundesstaates gilt, in dessen Gebiet es aufgefunden
wird. 84, Abs.2. Da die unmittelbare Reichsangehörigkeit nur Per-
sonen erteilt werden kann, welche sich nicht im Gebiet eines Bundes-
staates niedergelassen haben, so sind ferner die Bestimmungen über
die Vernehmung der Gemeinde oder des Armenverbandes »des Nieder-
lassungsorts« 88, Abs. 2; 8 10, Satz 2; 8 11, Satz 2; 8 12, Satz 2 un-
anwendbar. Endlich sind auch die 88 14 und 21 auf die unmittelbare
Reichsangehörigkeit unanwendbar, weil sie die Staatsangehörigkeit in
einem Bundesstaat voraussetzen. Dagegen finden alle übrigen Vor-
schriften des Staatsangehörigkeitsgesetzes auf die unmittelbare Reichs-
angehörigkeit entsprechende Anwendung ?) mit der Maßgabe, daß an
die Stelle der Zentralbehörde des Bundesstaats der Reichskanzler und
an die Stelle der höheren Ver waltungsbehörde der Reichskanzler oder
die von ihm bezeichnete Behörde treten. 8& 35.
Der unmittelbare Reichsangehörige nimmt teil an allen Rechten,
welche einem Deutschen als solchem zustehen, insbesondere an den
im Art. 3 der Reichsverfassung aufgeführten, und an allen Pflichten,
welche einem Deutschen als solchem obliegen; dagegen nicht an den
staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten, welche die Staatsangehörig-
keit in einem Bundesstaat zur Voraussetzung haben, insbesondere an
politischen Wahlrechten, Wählbarkeit, Kommunalrechten und -pflichten,
Einkommensteuerpflicht usw.
IV. Der Rechtsschutz.
Das Staatsangehörigkeitsgesetz hat in vielen Fällen vorgeschrieben,
daß die Aufnahme, Einbürgerung und Entlassung erteilt werden muß,
wenn sie beantragt wird. Diese Vorschriften finden auf die unmittel-
bare Reichsangehörigkeit entsprechende Anwendung. Es besteht in
diesen Fällen daher ein Rechtsanspruch gegen die Regierung des
Bundesstaats oder den Reichskanzler. Gegen die Ablehnung eines
solchen Antrags gewährt das Staatsangehörigkeitsgesetz 8 40 ein Rechts-
1) Anders freilich wäre es, wenn die Reichsangehörigkeit das primäre Verbältnis
wäre und jeder Reichsangehörige in dem Staate, in welchem .er seinen Wohnsitz
oder dauernden Aufenthalt hat, staatsangehörig wäre. Die Erreichung dieses Rechts-
zustandes ist aber nicht durch das Staatsangehörigkeitsgesetz, wie Siotto Pintör S. 34
u. 38 ff. und andere meinen, näher gerückt, sondern im Gegenteil auf unabsehbare
Zeit abgewendet worden.
2) Dies gilt auch von dem Recht der Bundesregierungen gemäß 8 9 Bedenken
gegen die Einbürgerung zu erheben. Uebereinstimmend Piloty S. 897, Note 385.
Anderer Ansicht LenelS.7, Sp. 2, Cahn S. 154.