& 99. Die Militärhoheitsrechte der Einzelstaaten. 59
samte Landmacht des Reichs ein einheitliches Heer bilden soll und
alle deutschen Truppen verpflichtet sind, den Befehlen des Kaisers
Folge zu leisten, so ist der Gegensatz zwischen dem »Kontingent« und
der »Armee« der Einzelstaaten fortgefallen; das Kontingent des Ein-
zelstaates ist die Gesamtheit seiner Truppen. Die Reichs-
verfassung sagt daher auch statt des preußischen und bayerischen
Kontingentes »die königlich preußische Armee« und das »bayerische
Heer« und statt alle Kontingente »alle Truppenteile«. Die »Kontin-
gente« sind die Landestruppen. Demgemäß bezeichnet die Reichsver-
fassung mit dem Worte »Kontingentsherren« die Landes-
herren und Senate der deutschen Bundesstaaten als die militärischen
Dienstherren ihrer Truppen, und »Kontingentsherrlichkeit« ist nichts
anderes als ein aus der früheren deutschen Militärverfassung stam-
mender und aus derselben historisch zu erklärender Ausdruck für die
landesherrlichen Rechte in Militärsachen.
Dieser Begriff würde keinerlei Schwierigkeiten bereiten, wenn
jeder deutsche Staat seine Truppen lediglich aus seinen Angehörigen
bilden und in seinem Gebiet in Garnison haben würde, da alsdann
die Kontingentsherrlichkeit völlig identisch wäre mit der Landeshoheit
in Militärsachen. Dies ist aber nicht der Fall. Die Angehörigen
eines Bundesstaates können in Truppen eines anderen Staates oder
in der Marine ihrer militärischen Dienstpflicht genügen, sei es kraft
eigener Wahl, sei es kraft des Verfügungsrechts des Kaisers über den
Ersatz. Die Militärpflichtigen eines Staates und die Truppen eines
Staates fallen daher nicht zusammen; der Angehörige eines Staa-
tes kann in einem Truppenteile eines anderen Staates seine Wehr-
pflicht erfüllen.
Ferner können die einem deutschen Staate angehörigen Truppen-
körper in dem Gebiete eines anderen Staates ihre Garnison ange-
wiesen erhalten; ein deutscher Landesherr kann seine »eigenen«
Truppen außer Landes haben, während in seinen Ländergebieten
»andere Truppenteile des Reichsheeres« disloziert sind (Reichsverfas-
sung Art. 66, Abs. 2). Hieraus ergibi sich die Notwendigkeit, den
Landesherren und Senaten gewisse Rechte einzuräumen gegenüber
den in ihren Gebieten dislozierten Truppen, ohne Rücksicht darauf,
ob sie zu ihrem »Kontingente« gehören oder nicht.
Das regelmäßige Verhältnis, welches die Reichsverfassung bei ihren
Anordnungen zur Voraussetzung nimmt und von welchem die Mili-
tärkonventionen ausgehen, ist das, daß jeder Staat seine eigenen Trup-
pen (sein Kontingent) hat, daß bei diesen Truppen seine Angehörigen
ihre Militärpflicht erfüllen und daß diese Truppen in seinem Gebiet
disloziert sind. Da aber Abweichungen von diesem regelmäßigen
Verhältnis zugelassen sind, so hat die Reichsverfassung drei Arten
von landesherrlichen Militärhoheitsrechten unterschieden:
1. Die Rechte hinsichtlich der eigenen Truppen, ohne Rück-