Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

94 $ 101. -Das stehende Heer. 
hierbei durch das Etatsgesetz nicht mehr gebunden wie jede andere 
Verwaltung; eine Ueberschreitung der gesetzlichen Friedenspräsenz- 
stärke sei wie eine andere Etatsüberschreitung zu beurteilen'); die Be- 
fugnis des Kaisers zur Bestimmung des Präsenzstandes sei unabhängig 
von der gesetzlichen Festsetzung der Friedenspräsenzstärke Dieser 
Ansicht kann nicht zugestimmt werden. Art. 60 deutet mit keinem 
Worte an, daß er sich auf die Etatsfeststellung beziehe; er hat keinen 
anderen Inhalt als die Feststellung der Friedenspräsenzstärke im Wege 
der Reichsgesetzgebung; er steht nicht in dem mit Art. 69 beginnen- 
den Abschnitt von den Reichsfinanzen, sondern in dem Abschnitt, 
welcher das Reichskriegswesen regelt und neben der Bestimmung im 
Art. 62 der Reichsverfassung würde der Art. 60 vollkommen überflüssig 
sein, wenn auch er nur auf den Militäretat sich bezöge. Die Präsenz- 
stärke ist ein so wesentlicher Teil der Heeresorganisation, daß die An- 
ordnung über ihre Festsetzung nicht von den Vorschriften über die 
Organisation getrennt sein kann. 
Dagegen kann der Hinweis auf die zur Zeit der Errichtung der 
Verfassung bestehenden militärischen Zustände doch einen Weg zur 
Lösung des Problems eröffnen. Es gab bei der Gründung des nord- 
deutschen Bundes ebensoviele »Kontingente« als Bundesstaaten ; 
die Militärkonventionen waren noch nicht abgeschlossen; die Kon- 
tingente waren klein, ihre Einrichtungen sehr verschieden und meistens 
für die militärischen Bedürfnisse unbrauchbar. Es mußte eine voll- 
kommene Neuordnung stattfinden; die im Art. 61, Abs. 1 vorge- 
schriebene Einführung der preußischen Militärgesetzgebung reichte 
dazu nicht aus; Art. 61, Abs. 2 spricht von einer gleichmäßigen 
Durchführung der Kriegsorganisation *) des deutschen Heeres. Diese 
konnie nur dem Bundesfeldherrn übertragen werden; die Kontingente 
der zahlreichen Bundesstaaten mußten den im preußischen Heere 
bestehenden Organisationen nachgebildet werden. Verhandlungen mit 
den einzelnen Bundesregierungen waren dazu erforderlich, welche 
nur der Bundesfeldherr führen konnte’). Aus diesen Gründen er- 
mächtigte die Verfassung des Norddeutschen Bundes ihn »den Präsenz- 
stand, die Gliederung und Einteilung der Kontingente der Bundes- 
armee zu bestimmen«. Es handelte sich also um eine vorüber- 
gehende, einmalige Befugnis; nach gleichmäßiger Durchführung 
der Heeresorganisation sollten die gesetzlichen Vorschriften eintreten und 
ein umfassendes Reichsmilitärgesetz vorgelegt werden. Durch die ge- 
setzliche Feststellung der Friedenspräsenzstärke, der Verteilung auf die 
noch bestehenden Kontingente, der Kadres der einzelnen Waffen- 
1) Dies behauptet Meyer, Staatsrecht $ 198, Note 13. 
2) Der Ausdruck „Kriegsorganisation“ ist ein Redaktionsversehen; es handelt 
sich in dem ganzen Abschnitt der RV. um die Friedensorganisation des Kriegsheeres. 
3) Die Militärkonventionen enthalten über die Gliederung und Organisation der 
Kontingente die erforderlichen Vereinbarungen. S. oben S. 40 Anm. 2.
	        
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