Full text: Das Kaisertum in den Verfassungen des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 und vom 16. April 1871.

‘II. Die Gesetzgebung. 
$ 8. a) Die formelle Gesetzgebung. 
Auf dem Gebiete der Reichsgesetzgebung ist die 
Rechtsstellung des Kaisers nach den beiden Ver- 
fassungen sehr verschieden. : Was in erster Linie die 
Gesetzgebung im sogenannten engeren (fermellen) Sinne 
betrifft, so ist ein Gegensatz zwischen den beiden Ver- 
fassungen einmal insofern zu bemerken, als nach $ 80, 
Satz 1 der Verfassung von 1849 dem Kaiser das Recht 
der Gesetzesinitiative ohne Einschränkung. zusteht, 
während der Kaiser des neuen Deutschen Reiches als 
solcher der Gesetzesinitiative formell ermangelt!?)20) 21), 
Indessen viel wichtiger ist der Umstand, dass dem 
19) Der Umstand, dass nach Art. 16 der Verfassung die 
Vorlagen des Bundesrats „im Namen des Kaisers* an den 
Reichstag gebracht werden, hat die Bedeutung eines primatus 
honoris des Kaisers und bezicht sich nicht auf die Gesetzes- 
initiative, 
20) Wenn, was besonders von Bornhak im Archiv für 
öffentl. Recht, Bd. VIII, S. 425 ff. hervorgehoben wird, die Praxis 
unseres neuen Reichs eine andere ist, so ändert das jeden- 
falls an der Tatsache, dass dem geschriebenen Recht des Reichs- 
staats eine Gesetzesinitiative des Kaisers unbekannt ist, nichts, 
Wegen der erwähnten Praxis eine „formelle“ Gesetzesinitiative 
des Kaisers zu behaupten (Hänel, Studien zum deutschen 
Staatsrechte, II. Teil. Leipzig 1880, S.45) oder mit Bornhak 
(a. a. 0. S. 455) von einem die Verfassung „derogierenden 
Reichsherkommen“ zu sprechen, scheint bedenklich. Vergl. auch 
die Ausführungen bei den von Zorn 2.2.0. S.410, Note 10, an- 
geführten Schriftstellern; anderseits jetzt aber auch Fischer, 
Das Recht des deutschen Kaisers. Berl. 1895, S. 150 und Top- 
hoff a. a.0. S. 38 oben. 
21) Natürlich ist nicht zu übersehen, dass der Kaiser der 
Verfassung von 1871 gemäss Art.7, Abs. 2 als König von Preussen 
eine vollkommene indirekte Gesetzesinitiative im Reiche hat,
	        
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