‘II. Die Gesetzgebung.
$ 8. a) Die formelle Gesetzgebung.
Auf dem Gebiete der Reichsgesetzgebung ist die
Rechtsstellung des Kaisers nach den beiden Ver-
fassungen sehr verschieden. : Was in erster Linie die
Gesetzgebung im sogenannten engeren (fermellen) Sinne
betrifft, so ist ein Gegensatz zwischen den beiden Ver-
fassungen einmal insofern zu bemerken, als nach $ 80,
Satz 1 der Verfassung von 1849 dem Kaiser das Recht
der Gesetzesinitiative ohne Einschränkung. zusteht,
während der Kaiser des neuen Deutschen Reiches als
solcher der Gesetzesinitiative formell ermangelt!?)20) 21),
Indessen viel wichtiger ist der Umstand, dass dem
19) Der Umstand, dass nach Art. 16 der Verfassung die
Vorlagen des Bundesrats „im Namen des Kaisers* an den
Reichstag gebracht werden, hat die Bedeutung eines primatus
honoris des Kaisers und bezicht sich nicht auf die Gesetzes-
initiative,
20) Wenn, was besonders von Bornhak im Archiv für
öffentl. Recht, Bd. VIII, S. 425 ff. hervorgehoben wird, die Praxis
unseres neuen Reichs eine andere ist, so ändert das jeden-
falls an der Tatsache, dass dem geschriebenen Recht des Reichs-
staats eine Gesetzesinitiative des Kaisers unbekannt ist, nichts,
Wegen der erwähnten Praxis eine „formelle“ Gesetzesinitiative
des Kaisers zu behaupten (Hänel, Studien zum deutschen
Staatsrechte, II. Teil. Leipzig 1880, S.45) oder mit Bornhak
(a. a. 0. S. 455) von einem die Verfassung „derogierenden
Reichsherkommen“ zu sprechen, scheint bedenklich. Vergl. auch
die Ausführungen bei den von Zorn 2.2.0. S.410, Note 10, an-
geführten Schriftstellern; anderseits jetzt aber auch Fischer,
Das Recht des deutschen Kaisers. Berl. 1895, S. 150 und Top-
hoff a. a.0. S. 38 oben.
21) Natürlich ist nicht zu übersehen, dass der Kaiser der
Verfassung von 1871 gemäss Art.7, Abs. 2 als König von Preussen
eine vollkommene indirekte Gesetzesinitiative im Reiche hat,