Dritter Abschnitt.
Aktiengesellschaft.
Vorbemerkungen.
Literatur: Behrend S§s 96ff.; K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften
Bd. 1 1898, II 1904, Renaud, Recht der Aktiengesellschaften, 2. Aufl. 1875.
1. Zur Entstehungsgeschichte. Das Recht der Aktiengesellschaft hat seit dem
ursprünglichen H. G. B. verschiedene Wandlungen durchgemacht. Das H. G.B. selbst,
insoweit nur für Handelsaktiengesellschaften gültig, ging in seinen verhältnismäßig
sparsamen Vorschriften von dem Erfordernis der Staatsgenehmigung und aufsicht
aus, wenn es auch der Landesgesetzgebung eine abweichende Regelung zugestand.
Durch das Gesetz vom 11. Juni 1870 wurde die Aktiengesellschaft von staatlicher
Genehmigung und Aufsicht befreit, dagegen an privatrechtliche Normativbedingungen
zum Schutze der Aktionäre und Gläubiger gebunden. Zugleich erhob das Gesetz
alle Aktiengesellschaften zu Handelsgesellschaften und beseitigte damit die Zivilaktien-
gesellschaften, die bisher teils nach den allgemeinen Rechtsregeln, teils nach dem
auf sie erstreckten H. G. B., teils nach den in einzelnen Staaten für sie gegebenen
Sondergesetzen bestanden hatten. Ein neues ausführliches Aktiengesetz erging am
18. Juli 1884. Dasselbe, auf der Grundlage der Normativbedingungen aufgebaut,
suchte vor allem den Gründungshergang, namentlich durch Kennzeichnung der
Gründer, klarzustellen, die Reellität der Gründung und der Geschäftstätigkeit durch
Verhaftung der Gründer, der Verwaltungs- und Aufsichtsorgane zu sichern, die
Aufgaben der einzelnen Gesellschaftsorgane abzugrenzen und zu bestimmen, sowie
die Aktionäre durch strengere Haftung und Einräumung selbständiger Befugnisse
enger an das Unternehmen zu knüpfen. Auf diesem Gesetz fußt das neue H. G. B.
Im allgemeinen sind die Grundzüge des bisherigen Rechtes mit einer, allerdings
sehr wesentlichen Ausnahme (8 212), gewahrt; im besonderen ist vieles geändert
und ergänzt, namenttich in Bezug auf die Revision der Gründung, die Erhöhung
und Herabsetzung des Grundkapitals, die Veräußerung des Vermögens als Ganzen
und die Nichtigkeitserklärung der Gesellschaft. Das neue H.G. B. beherrscht, gleich
dem Aktiengesetz von 1884, alle Aktiengesellschaften. Nur für koloniale Unter-
nehmungen gewährt das Schutzgebietsgesetz vom 10. September 1900 85§ 11—13
dem Bundesrat die Befugnis, ein selbständiges Recht zu gewähren. Dazu kommen
feiner besondere reichsrechtliche Bestimmungen für Hypothekenbanken und Ver-
icherungsgesellschaften.
2. Rechtliche Natur. Die Aktiengesellschaft des deutschen Rechtes wird von
der neueren Rechtsprechung ohne weiteres als juristische Person anerkannt. Das
Reichsgericht geht dauernd von dieser Auffassung aus (vgl. z. B. R.G. 3. LXIII Nr. 52).
Auch in der heutigen Literatur ist die gleiche Meinung als die herrschende zu be-
zeichnen (K. Lehmann A. G. l S. 227ff., Ring A.G. S. 146ff.; als „halb rechts-
ähige“ (Personide] Vereine sehen sie Meurer, Die jurist. Personen nach deutschem
eichsrecht 1901 und Wimpfheimer, Die Gesellschaften des Handelsr. u. bürgerl. R.
im Stadium der Liquidation 1908 S. 140 an.) Ihre Richtigkeit findet in § 210
Abs. 1, wonach die Aktiengesellschaft als solche selbständig ihre Rechte und Pflichten
hat, und in dem Inbegriff der gesetzlichen Normen, namentlich in dem folgerichtigen
Ausschluß persönlicher Haftung der Mitglieder für die Schulden der Aktiengesell-
schaft, in der Ausgestaltung der letzteren als Mehrheitsverband, in ihrer Begabung
Lehmann-Ring, Handelsgesetzbuch. II. 2. Aufl. 1
Nr. 1.
Nr. 2.