58 11. Geschichtl. Entwickelung des staatl. Rechtszustandes in Deutschland.
sich die überhand nehmende Auflösung des Staatscharakters und die
Hinneigung zum föderativen Prinzip im deutschen Reiche der letz-
ten Jahrhunderte.
Zur Abkürzung der Geschäfte bediente sich der Reichstag der
Deputationen, welche dieselbe Aufgabe und Stellung hatten,
wie die parlamentarischen Kommissionen der Gegenwart. Man
unterschied ordentlicheundausserordentliche Reichsdepu-
tationen, (och waren erstere seit 1662 ausser Gebrauch gekommen.
u.
5) Die Reichsjustiz und die Retshsgerichte 1,
Während im früheren Mittelalter der König als die Quelle aller
Gerichtsbarkeit gegolten hatte, jeder Richter im Reiche als sein
Stellvertreter zu Gericht sass und die; Gerichtsgewalt den Bann von
ihm ableitete, war seit dem 14. Jahrhundert die Uebertragung des
Königsbannes an die Landesherrn und ihre Richter ausser Gebrauch
gekommen; somit war die Gerichtsbarkeit innerhalb der einzelnen
Territorien zu einem rein landesherrlichen Rechte, zu einem Be-
standtheile der Landeshoheit geworden. Trotzdem blieb der kaiser-
lichen Reichsjustiz immer noch ein grosses Gebiet, vor allem die
Gerichtsbarkeit über alle Reichsunmittelbaren, welche keine
andere Gewalt, als die Reichsgewalt, keinen andern Richter, als
den Kaiser, über sich erkannten. Aber auch die Ausübung der
Justiz über die Mittelbaren, obgleich sie als Bestandtheil der Lan-
deshoheit galt, blieb doch jeder Zeit der Gewalt des Reiches unter-
geordnet. Nirgends in Deutschand war, wenigstens de jure, die
oberstrichterliche Gewalt von Kaiser und Reich ganz und gar aus-
geschlossen?. Wo es sich um Justizverweigerung und um Klagen
über unheilbare Nichtigkeiten handelte, hatte die Reichsjustiz
überall Abhülfe zu schaffen. Diesen wichtigen Aufgaben konnte die
schwankende und unstäte Organisation des mittelalterigen könig-
lichen Hofgerichtes (mit dem von Friedrich II. 1235 eingesetzten
justitiarius‘ nicht mehr genügen. Je eımster man auf Herstellung
ı Für das Geschichtliche kommt jetzt, ausser den allgemeinen Werken über
Staats- und Rechtsgeschichte, in Betracht das gründliche und umfassende Werk
von OÖ. Franklin, Das Reichshofgericht im Mittelalter, I. Bd. Weimar 1867.
Geschichte von Heinrich I. bis zum Uebergange und Anfange des Reichskammer-
gerichts 1495. II. Bd. 1869. (Verfassung, Verfahren‘,
2J. J. Moser, Von der deutschen Justizverfassung 2 Thle. 1774. 4
Frhr. v. Senckenberg, Von der kaiserlichen höchsten Gerichtsbarkeit in
Deutschland. Frankf. 1760. 4.