Lehrplan des Gesangunterrichtes an den höheren Lehranstalten usw. 77
praktischen Vorübungen. Alle allgemein musikalischen und gesanglichen
Übungen sind also stets in Verbindung mit dem angewendeten Gesange
zu halten und so einzurichten, daß dieser niemals vernachlässigt wird.
In bieser Beziehung empfiehlt es sich, in der Sexta und teilweise auch
in der Quinta das einzuübende Lied oder seine wichtigeren Teile an
der Schultafel entstehen zu lassen, ehe von dem Liederbuch Gebrauch
gemacht wird.
Eine angemessene Zahl von Volksliedern und Chorälen muß den
Schülern zum festen Eigentum werden.
Besondere Aufmerksamkeit ist, der Natur des Liedes gemäß, auf
allen Stufen dem Texte zuzuwenden. Der Lehrer trage zunächst selbst
den Text mit guter Betonung vor, am besten ohne Zuhilfenahme des
Buches, und bringe schwierigere Stellen zum Verständnis. Hinweise
auf den prosodischen Rhythmus, auf besonders betonte Silben oder
Wörter führen zum Verständnis der Melodie, insbesondere des ge-
wählten Taktes und des musikalischen Rhythmus. Nicht nur die erste,
sondern auch die übrigen Strophen sind zu singen, damit die Aneignung
des Textes den Schülern erleichtert wird.
7. Bei den Chorübungen treten ÜUbungen im Hören von Harmo-
nien, Aufschlüsse über Akkordverbindungen und musikalische Formen
hinzu, jedoch nur im unmittelbaren Anschluß an die einzuübenden
Chöre und in Form anregender Hinweise, nicht als zusammenhängende
Darstellungen. Dabei ist dem Altersunterschied zwischen den oberen
und unteren Stimmen Rechnung zu tragen.
Tonbildung, Aussprache, Atmung, Phrasierung und straffe
Rhythmik sind auch bei den Chorübungen immerfort im Auge zu
behalten und nach Bedarf durch eingestreute besondere Übungen auf
der richtigen Höhe zu erhalten.
8. Die Bildung eines aus Sopran, Alt, Tenor und Baß be-
stehenden gemischten Chors ist bei den neunklassigen Anstalten die Regel.
Wo an sechsklassigen Anstalten sich ein gemischter Chor nicht
bilden läßt, nehme man seine Zuflucht zu Bearbeitungen für zwei
oder drei Knabenstimmen und eine Männerstimme. Dabei ist zu be-
achten, daß die Bearbeitung dem Original möglichst entspreche; in
allen Fällen ist die Auswahl der Kompositionen so zu treffen, daß der
Chor in stimmlicher Beziehung nicht überanstrengt wird.
9. Kompositionen für Männerstimmen dürfen nur ausnahms-
weise und nur mit b:sonders sorgfältiger Berücksichtigung der jugend-
lichen Stimme geübt werden. Durch die Bildung eines Männerchors
darf die Pflege des gemischten Chors nicht beeinträchtigt werden.
Während des Stimmwechsels sind die Stimmen sorglich zu schonen.
10. Die Benutzung eines Instruments bei der Einübung von
a capella-Sätzen ist in der Regel ausgeschlossen; wird ein solches