89. Das Staatsgebiet. 87
2. Die Küstengewässer sind nieht Staatsgebiet; wohl aber steht
dem Uferstasate die Ausübung gewisser Hoheitsrechte in den Küsten-
gewässern zu. Man kann mithin sagen: Der Uferstaat hat eine be-
schränkte Gebietsheheit über die Küstengewässer.®
Daß das Küstenmeer nicht schlechtweg als Staatsgebiet des
Uferstaates betrachtet werden kann, ergibt eine einfache Erwägung.
Wenn an Bord eines schwedischen Handelsdampfers, der die deut-
schen Küstengewässer der Ostsee durchfährt, ein Kind geboren
wird, so ist dieses Kind, wie von allen Seiten zugegeben wird
(unten VI), nicht in Deutschland, sondern in Frankreich geboren;
wenn an Bord eines die deutschen Küstengewässer durchfahrenden
französischen Schiffes ein Matrose von einem andern erschlagen
wird, so ist die Handlung ganz zweifellos nicht in Deutschland,
sondern in Frankreich begangen.
Die rechtliche Stellung des Uferstaates in den Küstengewässern
ergibt sich vielmehr aus folgenden Rechtssätzen.
a) Die Durchfahrt durch die Küstengewässer darf den Handels-
wie den Kriegsschiffen fremder Staaten weder versagt noch
von Abgaben abhängig gemacht werden (droit de passage In-
offensif, jJus passagli sive transitus innoxii). Dagegen Ist,
von Seenot (reläche forese) abgesehen, der Aufenthalt in den
Küstengewässern (zu Seemanövern, Vermessungen usw.) nur
mit Genehmigung des Uferstaates gestattet.
Dabei ist es selbstverständlich, daß durch besondere Verein-
barungen dieser Rechtssatz abgeändert werden kann. So soll nach
Art. 29 des Berliner Vertrages vom 13. Juli 1878 der Hafen von
Antivari nebst allen zu Montenegro gehörigen Gewässern den Kriegs-
schiffen aller Nationen verschlossen sein, und durch den Pariser
9) Die Frage ist sehr bestritten. Die Souveränität des Uferstaates
wird von einzelnen Schriftstellern behauptet, von andern in Abrede gestellt.
Da aber die erstern Einschränkungen in der Ausübung der Souveränität
zugeben und die letztern dem Uferstaate die Ausübung einer ganzen Reihe
von Hoheitsrechten (wenn auch unter dem Namen von „Staatsservituten‘“‘)
einräumen, so führen die verschiedenen Ansichten im wesentlichen zu dem-
selben Ergebnis. Vergl. über die alte Streitfrage vor allen Schücking.