106 I.Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.
Il. Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit wird dureh die
nationale Gesetzgebung jedes Staates bestimmt.’
Da diese aber heute noeh nicht nach einheitlichen Grundsätzen
vorzugehen pflegt, so ist die Möglichkeit einer positiven wie einer
negativen Statutenkollision gegeben.
1. Es kann jemand die Staatsangehörigkeit seines Heimatstaates
beibehalten und die eines andern Staates erworben haben, mithin An-
gehöriger zweier Staaten sein (sujets mixtes).
2. Es kann jemand die Staatsangehörigkeit seines Heimatstaates
verloren und die eines andern Staates nicht erlangt haben, mithin
im völkerrechtlichen Sinne „‚„heimatlos‘‘ (Apolid) sein.
An diese beiden Fälle schließen sich weiter die bereits mit
der Geburt möglicherweise gegebene doppelte Staatsangehörigkeit
oder Heimatlosigkeit.®
Zur Vermeidung der mit den Kollisionsfällen verbundenen
Übelstände haben verschiedene Verträge zwischen einzelnen Staaten
gleiche Grundsätze über Erwerb und Verlust der Staatsangehörig-
keit aufgestellt. Beachtenswert sind in dieser Beziehung die von
Frankreich mit der Schweiz am 23. Juli 1879 und mit Belgien
am 30. Juli 1891 geschlossenen Verträge.
Aber auch das Deutsche Reich und die deutschen Einzel-
staaten haben solche Verträge geschlossen. Hierher gehören die
2) Vergl. das deutsche Reichsgesetz vom 1. Juni 1870 (B. G. Bl. S. 355).
Den Erwerb der Herrschaft über die Gebietsangehörigen bei Gebiets-
erwerbungen behandelt oben $ 10 II.
3) Vergl. von und zu Bodmann, L.A. XI 200. 317. Reuß,
Über Kollisionen der Gesetze über den Erwerb und Verlust der Staats-
angehörigkeit. Diss. 1898. — Über Heimatlosigkeit enthält Art. 29 E.G.
zun B.G.B. eine sehr brauchbare Rechtsregel: „Gehört eine Person keinem
Staate an, so werden ihre Rechtsverhältnisse, soweit die Gesetze des Staates,
dem eine Person angehört, für maßgebend erklärt sind, nach den Gesetzen
des Staates beuırtheilt, dem die Person zuletzt angehört hat, und, wenn
sie auch früher einem Staate nicht angehört hat, nach den Gesetzen des
Staates, in welchem sie ihren Wohnsitz und in Ermangelung eines Wohn-
sitzes ihren Aufenthalt hat oder zu der maßgebenden Zeit gehabt hat.“
Die völkerrechtliche Anerkennung dieses Rechtssatzes wäre sehr wünschens-
wert. — Die in Argentinien, Brasilien, Chile, Peru geborenen Kinder
deutscher Eltern haben sämtlich von Geburt an doppelte Staatsangehörigkeit.