6 Einleitung.
hat „Freundschafts-Verträge“ mit den Kulturstaaten geschlossen-
Unaufhaltsam schreitet diese Ausbreitung des Völkerrechts fort.
Der Weltpostverein schließt fast alle Staaten der sämtlichen Erd-
teile zu einer riesigen Verwaltungsgemeinschaft zusammen; und
im Jahre 1899 haben China, Persien und Siam an der Haager
Friedenskonferenz teilgenommen.
8. Im Verkehr mit den halbzivilisierten Staaten außerhalb der
vertragsmäßig geregelten Beziehungen und im gesamten Verkehr mit
den nichtzivilisierten Staaten ist die Rechtegemeinschaft der Kultur-
staaten nur dureh ihre tatsächliche Macht geschützt und nur dureh
die Grundsätze des Christentums und der Menschlichkeit gebunden.
If. Die Rechtsnatur des Völkerrechts.
1. Die Völkerrechtsgemeinschaft ruht auf dem genossenschaft-
lichen, nieht auf dem herrsehaftliehen Prinzip; sie ist kein Staaten-
staat, sondern ein Staatenverein.
Der Staat setzt begrifflich eine über dem einzelnen stehende
Gewalt voraus; einen Herrscherwillen, der etwas anderes ist als
die Summe der Einzelwillen, eine Herrschermacht, die den ein-
zelnen erfaßt, und ihn, auch gegen seinen Willen, festhält. Auch
der Staatenstaat ist nicht denkbar ohne eine über den einzelnen
Gliedstaaten stehende und sie erfassende Zentralgewalt. Die Völker-
rechtsgemeinschaft aber wird gebildet durch unabhängige Staaten,
die die Anerkennung eines über ihnen stehenden Herrscherwillens
weit von sich ablehnen. In der Völkerrechtsgemeinschaft ist der
Wille der Gesamtheit, mag er auf Staatenkongressen ausdrücklich
festgestellt werden, mag er nur aus der Staatenübung erkennbar
sein, nichts anderes als der Wille der sämtlichen einzelnen. Den
schärfsten Ausdruck findet dieser grundlegende Satz in der un-
bestrittenen Tatsache, daß völkerrechtliche Vereinbarungen nur
diejenigen Staaten binden, die sich binden wollen, daß, rechtlich
betrachtet, die Stimme des kleinsten Staates genau so schwer ins
Gewicht fällt, wie die seines übermächtigen Nachbarn, daß jede
Majorisierung der Minderheit ausgeschlossen ist.