190 II. Buch. Der völkerrechtliche Verkehr der Staaten im allgemeinen.
8 24. Das völkerrechtliche Delikt.!
I. Völkerrechtliches Delikt ist die von einem Staate ausgehende
Verletzung eines völkerrechtlich geschützten Interesses eines andern
Staates.
1. Subjekt des völkerreehtlichen Deliktes, mithin Träger der
durch dieses begründeten Verantwortlichkeit, ist nur der Staat selbst;
und zwar auch dann, wenn er für Handlungen seiner Staatsangehörigen
haftet.
Das völkerrechtliche Delikt ist daher verschieden von den
sogenannten „Delikten gegen das Völkerrecht“, wie sie die natio-
nalen Strafgesetzbücher aufzustellen pflegen („strafbare Hand-
lungen gegen befreundete Staaten“ nach der Terminologie des
deutschen Reichsstrafgesetzbuches). Subjekt eines solchen „Deliktes
gegen das Völkerrecht‘, ist stets der Einzelne, niemals der Staat;
Träger des durch das Delikt entstandenen Strafanspruches stets
nur der Staat, dessen Normen übertreten worden sind, niemals
ein fremder Staat.
2. Nur der souveräne Staat besitzt mit der völkerreehtlichen
Geschäftsfähigkeit auch die volle Deliksfähigkeit.
Für den halbsouveränen Staat haftet daher, soweit dieser
in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, der oberherrliche Staat
(oben $S 6 IV 1). Für eine Verletzung der. von den christlichen
Staaten mit der Türkei geschlossenen Verträge durch Bulgarien hat
daher im allgemeinen die Türkei aufzukommen; während Bulgarien
auf dem ihm überlassenen Gebiete der völkerrechtlichen Betätigung
selbständig verantwortlich ist. Dagegen ist der dauernd neu-
tralisierte Staat deliktsfähig (oben $ 6 III). Der Staat vertritt
auch seine überseeischen Kolonien; die von diesen begangenen
Rechtsverletzungen fallen ohne weiteres ihm zur Last. In bezug
auf die Staatenverbindungen ist das oben 8 6 II Gesagte anzu-
wenden.
1) Clunet, Offenses et actes hostiles commis par des particuliers
contre un Etat ätranger. 1887. Heilborn, R.G. III 179. Triepel (oben
8 2 Note 1) 324.