Full text: Das Völkerrecht.

824. Das völkerrechtliche Delikt. 191 
8. Jede Verletzung eines völkerrechtlich geschützten Interesses 
ist Delikt. 
Es gibt daher keine besonderen deliktischen Tatbestände; 
die feine Differenzierung, die das nationale Recht und seine 
Unrechtslehre beherrscht, ist dem Völkerrecht fremd. Selbst die 
Unterscheidung des strafbaren und des nichtstrafbaren Unrechts 
kennt es nicht. Daher ist, im Gegensatz zum Privatrecht, auch 
die einfache Vertragswidrigkeit Delikt, soweit es sich (oben 8 19 I) 
wirklich um völkerrechtliche Verträge handelt. Jede Verletzung 
bestehender Staatsverträge kann mithin die sämtlichen Unrechts- 
folgen nachsichziehen. Doch ist der Staat, wenn sein Vertrags- 
gegner auch nur in einem einzigen Punkte den geschlossenen 
Vertrag verletzt, berechtigt, von dem ganzen Vertrage zurück- 
zutreten (oben $ 21 IV 2). Damit entfallen dann die eigentlichen 
Unrechtsfolgen. 
4. Das völkerreehtliche Delikt ist stets Verletzung eines Staates. 
Doch kann dieser nicht nur unmittelbar (so in seinen Ver- 
tretern und in seinen Hoheitszeichen), sondern auch, in seinen 
Staatsangehörigen und Schutzgenossen, mittelbar verletzt werden. 
b. Versehieden von dem völkerreehtliehen Delikt ist der „un- 
freundiiche Akt‘ (act peu amical). 
Ein solcher Akt, vor allem die nichtautoritative Einmischung 
in die Angelegenheiten eines fremden Staatswesens, kann mit 
Entschiedenheit zurückgewiesen werden, erzeugt aber nicht die 
Unrechtsfolgen. 
H. Der Staat ist unmittelbares Deliktssubjekt bei allen schuldhaften 
reehtswidrigen Handlungen, die von seinen mit völkerrechtlicher Ver- 
tretungsbefugnis ausgertsteten Vertretungsorganen innerhalb ihrer 
Vertretungsbefugnis begangen werden. 
Der Staat haftet daher für die Handlungen seines Staats- 
hauptes und seines Ministers des Äußeren, seiner Gesandten und 
seiner Konsuln, sowie auch für die im Kriege vorgenommenen 
Handlungen seiner Befehlshaber. Denn diese Handlungen der mit 
Vertretungsbefugnis ausgestatteten Organe sind Handlungen des
	        
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