Full text: Das Völkerrecht.

8 24. Das völkerrechtliche Delikt. 195 
IV. Der Begriff des Deliktes wird ausgeschlossen dureh den Mangel 
der Rechtswiärigkeit. 
Er wird also beseitigt durch die Befugnis zu dem Eingriff 
in die Rechtssphäre des verletzten Staates, mag diese Befugnis 
auf allgemeinen Rechtssätzen oder auf besonderer Einräumung be- 
ruhen. Doch ist nicht ausgeschlossen, daß die Ersatzpflicht olıne 
die übrigen Unrechtsfolgen trotz der Rechtmäßigkeit eintritt. Diese 
Erscheinung hat dieselbe Bedeutung wie auf dem Gebiete des Privat- 
rechtes. Der Standpunkt der Deliktshaftung ist damit aufgegeben. 
-1. Hierher gehört zunächst die berechtigte Selbsthilfe (unten 
838 III), insbesondere die Intervention (oben 8 7 II 2). 
2. Der Einwilligung des verletzten Staates muß unter allen Um- 
ständen die Kraft eines die Rechtswidrigkelt ausschließenden Umstandes 
beigelegt werden. 
Das folgt aus der Souveränität der Staatsgewalt.e. Eine Ein- 
schränkung ist nur insoweit zu machen, als die Handlung nicht 
nur die Interessen des unmittelbar verletzten Staates selbst, son- 
dern auch diejenigen anderer Staaten verletzte Die Einwilligung 
Belgiens also in die Besetzung seines Gebietes durch eine krieg- 
führende Macht würde dieser Besetzung die Rechtswidrigkeit zu 
nehmen nicht in der Lage sein. 
3. Die strafrechtlich und privatrechtlich anerkannten Begriffe 
der Notwehr und des Notstandes schließen auch für das Gebiet des 
Välkerrechts die Rechtswidrigkeit der begangenen Verletzung aus. 
Auch der dauernd neutralisierte Staat darf mithin den feind- 
lichen Überfall mit Waffengewalt abwehren. Er handelt in Notwehr. 
Derselbe Grundsatz gilt für den Notstand. Droht den Interessen eines 
Staates Gefahr, so darf er sie bei überwiegendem Interesse durch 
Verletzung der berechtigten Interessen eines dritten Staates schützen. 
Doch hat er in diesem Falle Ersatz zu leisten. Auch diejenigen 
Schriftsteller, welche die Anwendbarkeit des Notstandbegriffes im 
Völkerrecht leugnen, gewähren dem bedrohten Staat das „Recht 
auf Selbsterhaltung‘ (oben $ 7 Note 10), Damit ist derselbe Be- 
griff durch einen andern Ausdruck bezeichnet. 
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