81. Begriff und Einteilung des Völkerrechts. 7,
Mit dieser streng genossenschaftlichen „Organisierung‘“ der
Völkerrechtsgemeinschaft hängt es zusammen, daß ihr bisher die
Kraft gefehlt hat, besondere Organe für die Rechtssetzung, Recht-
sprechung, Rechtsverwirklichung aus sich heraus zu bilden. Nur
die Gesamtheit der Rechtsgenossen, also der Völkerrechtsstaaten
selbst, vermag Recht zu schaffen, Streitigkeiten zu entscheiden,
durch diplomatische oder bewaffnete Intervention den drohenden
'Rechtsbruch zu hindern oder den gestörten Besitzstand wieder her-
zustellen. Freilich treten uns da und dort im heutigen Völker-
recht die ersten Ansätze zur Organbildung entgegen; sie sind als
die Anzeichen einer sich anbahnenden Umgestaltung später genau
zu besprechen, vermögen aber, als vereinzelt gebliebene Aus-
nahmen, die Richtigkeit der grundlegenden Auffassung nicht zu’
erschüttern.
2. Dennoch sind die Normen des Völkerrechts wirkliehe Reehts-
regeln; sie binden die Staaten der Völkerreehtsgemeinschaft, sie sind
positives Recht.
‘ Die Rechtsnatur des Völkerrechts wird bestritten von Lorimer,
Westlake, Lasson, Ph. Zorn und andern; sie wird anerkannt
von der großen Mehrheit der staats- und völkerrechtlichen Schrift-
steller.?)
Gegen die Rechtsnatur des Völkerrechts kann die Unvoll-
kommenheit seiner Erscheinungsform nicht ins Feld geführt werden.
Es mag zugegeben werden, daß ein großer Teil der völkerrecht-
lichen Normen, und darunter gerade die wichtigsten von ihnen, in
der zweifellos unvollkommenen Form des Gewohnheitsrechts uns
entgegentritt und daß, bei der schwankenden Haltung der Staaten,
der Inhalt dieser Rechtsgewohnheit vielfach — man denke z.B.
an den Begriff der Konterbande — mit Sicherheit überhaupt nicht
2) Lasson, Prinzip und Zukunft des Völkerrechts. 1871. 8.52;
Rechtsphilosophie. 1882. 8. 389. Seydel, Grundzüge einer allgemeinen
Staatslehre. 1873. S. 32. Zornin seinem Staatsrecht. Gegen diesen treffend
Laband, Staatsrecht. 4. Aufl. 3. Bd. 1901. S. 1 Note 1. Für die Rechts-
natur des Völkerrechts ferner unter vielen andern: v. Ihering, Zweck im
Recht. 3. Aufl. I. 323. Triepel, Völkerrecht und Landesrecht 1899. S. 103.