826. Die Hochseeschiffahrt und die Freiheit des Meeres. 215
IV. Besondere Rochtsregeln gelten für den Soeraub (die Piraterie).’
Der Seeraub ist seit der Niederwerfung der nordafrikänischen
Barbareskenstaaten Marokko, Algier, Tunis und Tripolis durch
Frankreichs entschiedenes Vorgehen (um das Jahr 1830) im Mittel-
meer 80 gut wie verschwunden; er spielt aber im Roten Meer auch
heute noch eine Rolle und hat noch kürzlich (10. November 1902)
zu einem Vertrage zwischen Italien und der Türkei Anlaß gegeben.
1. Seeraub ist die auf offener See außerhalb der Gerichtsbarkeit
eines Staates der Völkerrechtsgemeinschaft begangene Gewalttat.®
Der völkerrechtliche Begriff des Seeraubes ist ausgeschlossen,
sobald die Tat unter die Gerichtsbarkeit eines Staates der Völker-
rechtsgemeinschaft fällt. Wenn die Besatzung eines deutschen
Schiffes auf offener See eine Gewalttat begeht, also etwa ein
Fischerboot anhält und ausplündert, so tritt ausschließlich die
deutsche Gerichtsbarkeit ein; die Tat ist nicht Seeraub im Sinne
des Völkerrechts. Dasselbe gilt auch dann, wenn die Tat von
der gelandeten Mannschaft eines französischen Schiffes etwa an der
spanischen Küste begangen wird; denn hier ist die Gerichtsbarkeit
Spaniens begründet und Frankreich zur Auslieferung der Verbrecher
an Spanien verpflichtet. Seeräuberschiff ist nur dasjenige Schiff,
das entweder gar keine Flagge oder eine völkerrechtlich nicht
anerkannte Flagge führt oder aber sich der Flagge eines Staates
der Völkerrechtsgemeinschaft mit Unrecht bedient; dasjenige Schiff
also, das völkerrechtlich betrachtet keinem Staate an-
gehört, daher auch, auf offener See, der Gerichtsbarkeit keines
Staates untersteht. Daher sind nicht Seeräuber die während eines
Seekrieges auf Kaperei ausgehenden Kriegsschiffe, auch nicht die
mit staatlichen Kaperbriefen ausgestatteten Schiffe, selbst wenn
die Erteilung des Kaperbriefes eine Verletzung des Pariser Vertrages
7) Piraterie von zeıgav Iiw Salaocav. Vergl. Perels108. v.Mar-
titz, Rechtshilfe (unten $ 32 Note 1) I 66 mit weiterer Literatur.
8) Viel enger Perels: „ein ohne staatliche Autorität in gewinn-
süchtiger Absicht auf die Ausübung von Gewaltakten auf See gerichtetes
bewaffnetes Unternehmen.“