Full text: Das Völkerrecht.

81. Begriff und Einteilung des Völkerrechts. 9 
schaffen werden kann, dann ist allerdings die Rechtsnatur des 
Völkerrechts in Frage gestellt. Kann der Wille des Einzelstaates 
nicht nur nach freiem Belieben sich selbst binden, sondern ebenso 
zu jeder Zeit sich wieder selbst lösen, dann ist, wie Ph. Zorn 
behauptet, das Völkerrecht wirklich nichts anderes als äußeres 
Staatsrecht. 
Aber diese Auffassung bleibt an der Oberfläche haften. 
Tiefergehende Betrachtung führt zu einem andern Ergebnis. Das 
Wesen des Rechtssatzes liegt in einem Doppelten. Einmal in dem 
Kennzeichen, das er mit allen andern N ormen teilt: in seiner ver- 
pflichtenden Kraft. Es wird nicht geleugnet werden können, daß 
die Sätze des Völkerrechts dieses Kennzeichen aufweisen, daß sie 
als verpflichtend gemeint sind von denen, die sie aufstellen, und 
daß sie als verpflichtend anerkannt und empfunden werden von 
denen, an die sie sich richten. Dann aber liegt das Wesen des 
Rechtssatzes in einem Merkmal, durch das er von den übrigen 
Normen, denen der Religion, der Sittlichkeit usw. sich unter- 
scheidet: daß hinter ihm die Macht steht, die seine Befolgung zu 
erzwingen vermag. Auch dieses Merkmal tragen die Sätze des 
Völkerrechts an sich: wer wollte bestreiten, daß Jdie Völkerrechts- 
gemeinschaft die Kraft hat, ein widerstrebendes Mitglied zur Er- 
füllung seiner Rechtspflicht zu zwingen? 
Auch wenn die Völkerrechtsgemeinschaft nichts anderes wäre 
als ein Staatenverein, in den jeder Staat eintreten kann, wenn er 
mag, aus dem er austreten kann, wenn es ihm gefällt, würde 
doch jedes Mitglied während der Dauer der Mitgliedschaft 
unzweifelhaft an die Satzungen dieses Vereins gebunden und für 
deren Verletzung verantwortlich sein. Mag auch der Eintritt wie 
der Austritt im freien Belieben des Einzelstaates stehen: an die 
Regeln, denen er durch seinen freien Willen sich unterworfen hat, 
bleibt er gebunden von dem Augenblick des Eintritts bis zum 
Augenblick des Austritts. 
So liegt die Sache aber gar nicht. Die Zugehörigkeit zu 
dem Staatenverein der Völkerrechtsgemeinschaft steht nicht im
	        
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