10 Einleitung.
freien Belieben der einzelnen Staaten. Je enger die Fäden des
internationalen Verkehrs sich verschlingen, desto unmöglicher ist
es für den einzelnen Staat, sich der Gemeinschaft zu entziehen.
Der mächtigste Staat, wollte er heute erklären, daß er die von
ihm geschlossenen Verträge nicht halten und neue nicht schließen
wolle, würde morgen schon darüber klar sein, daß diese Erklärung
einer Selbstvernichtung gleichkäme.
Die Völkerrechtsgemeinschaft ruht mithin allerdings bloß auf
genossenschaftlicher Grundlage. Aber diese Genossenschaft ist eben
eine andere als die eines Kegelklubs oder eines Konsumvereins.
Sie ist das notwendige Ergebnis einer Interessengemeinschaft, die
dem souveränen Willen des einzelnen Staates die Wege vorzeichnet,
die er gehen muß, wenn er nicht untergehen will.
Darin, daß der Austritt aus der Völkerrechtsgemeinschaft dem
einzelnen Staat eben nicht freisteht, daß er auch gegen seinen
Willen in der Genossenschaft festgehalten wird, liegt der durch-
schlagende Beweisgrund für die Rechtsnatur des Völkerrechts.3
III. Einteilung des Völkerrechts.
In der nachfolgenden Darstellung, die vier Bücher umfaßt,
wird ein allgemeiner und ein besonderer Teil des Völkerrechts
unterschieden. Das erste Buch des allgemeinen Teiles bringt die
Entwicklung der allgemeinen Rechtsregeln, durch welche, auch ab-
gesehen von besonderen Vereinbarungen, die Rechtsstellung der
Staaten zueinander, der Inhalt der Grundrechte (oben S. 3), be-
stimmt wird. Sie ergeben sich unmittelbar aus dem Begriff des
Staates als eines mit allen andern gleichberechtigten Mitgliedes
der Völkerrechtsgemeinschaft. Das zweite Buch behandelt den
völkerrechtlichen Verkehr im allgemeinen, abgesehen also von
dem Inhalt der völkerrechtlichen Beziehungen; er zerfällt in zwei
Abschnitte, deren erster die Organe des völkerrechtlichen Verkehrs,
deren zweiter die völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse und die
rechtserheblichen Tatsachen besprichtt. Für den besonderen
3) Vergl. auch Jellinek, Allgemeine Staatslehre. 1900. S. 304, 338.