Full text: Das Völkerrecht.

266 III. Buch. Regelung und Verwaltung gemeinsamer Interessen. 
Dieser Satz beruht teils (wie in Belgien Art. 8) auf der 
innerstaatlichen Verfassung, teils, wie in Deutschland ($ 9), auf 
der innerstaatlichen Strafgesetzgebung. Er hat seinen Grund in 
dem Mißtrauen gegen die Strafrechtspflege des ersuchenden Staates 
und steht daher im Widerspruch zu den Grundgedanken des 
Völkerrechts. Aber auch die Strafverfolgung wird durch die Nicht- 
auslieferung an die Behörde des Tatortes ganz wesentlich erschwert 
oder gar unmöglich gemacht. Großbritannien und die Vereinigten 
Staaten tragen kein Bedenken, ihre eigenen Untertanen an die 
Behörden des Begehungsortes auszuliefern.* 
V. Das Auslieferungsverfahren. 
Das Ersuchen um Auslieferung ist, soweit nicht besondere 
Vereinbarungen den direkten Weg gestatten, auf diplomatischem 
Wege an die zuständigen Behörden des Zufluchtsstaates zu über- 
mitteln. Es setzt voraus, daß entweder eine rechtskräftige Ver- 
urteilung erfolgt oder ein richterlicher Haftbefehl gegen den Ver- 
dächtigen ergangen ist. Darüber, ob diese Voraussetzungen gegeben 
sind, entscheiden in Großbritannien und den Vereinigten Staaten 
die Gerichte, in den kontinental-europäischen Staaten die oberste 
Verwaltungsbehörde unter Mitwirkung der Gerichte. Außerdem 
kann die vorläufige Festnahme des Verdächtigen begehrt werden, 
deren Dauer aber zeitlich beschränkt ist. Die Aburteilung des 
ausgelieferten Verbrechers wird beherrscht durch den Grundsatz 
der „Spezialität“, d. h. der Ausgelieferte kann im allgemeinen 
nur wegen derjenigen Tat abgeurteilt werden, wegen deren die 
Auslieferung begehrt und gewährt worden ist; die Verurteilung 
wegen einer andern vor der Auslieferung begangenen Tat ist nur 
dann zulässig, wenn die ausliefernde Staatsgewalt zustimmt oder 
wenn der Ausgelieferte entsprechende Zeit gehabt hat, sich aus 
dem Staatsgebiete des ersuchenden Staates zu entfernen oder wenn 
er dahin wieder zurückgekehrt ist. 
  
4) Literatur bei v. Liszt, Lehrbuch des Strafrechts, 15. Aufl. $ 23 
Note 3, v. Martitz I 305. Die überwiegende deutsche Literatur hat sich 
gegen die „Auslieferung der Nationalen“ ausgesprochen.
	        
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