Full text: Das Völkerrecht.

87. Die Staatsgewalt in ihrer äußeren Unabhängigkeit. 67 
drücklich anerkannt. Vergl. Berliner Vertrag Artikel 61: „Die Hohe 
Pforte verpflichtet sich, ohne weiteren Zeitverlust die Verbesse- 
rungen und Reformen ins Leben zu rufen, welche die örtlichen 
Bedürfnisse in den von den Armeniern bewohnten Provinzen er- 
fordern, und für die Sicherheit derselben gegen die Tscherkessen 
und Kurden einzustehen. Sie wird in bestimmten Zeiträumen von 
den zu diesem Zwecke getroffenen Maßregeln den Mächten, welche 
die Ausführung derselben überwachen werden, Kenntnis geben.“ 
Auf diesem Artikel beruhte das Einschreiten der Mächte zugunsten 
ler Armenier im Jahre 1895. Aber auch allgemein liegt in der 
durch den Pariser Frieden von 1856 ausgesprochenen Kollektiv- 
garantie des ottomanischen Gebietes, sowie in der zu Berlin 1878 
durch die Großmächte festgelegten Rechtsstellung Bulgariens, Ost- 
rumeliens und Kretas, die Begründung eines Interventionsrechtes 
für diese. Über die bewaffnete Intervention der Großmächte in China 
aus Anlaß der Wirren des Jahres 1900 vergl. unten $ 38 II. 
3. Völkerrechtswidrig ist endlich jede Beleidigung eines andern 
Staates, sei es in dessen völkerrechtlichen Vertretern und Organen, 
sei es in dessen Hoheitszeichen. 
Hierher gehört die wörtliche, tätliche oder symbolische Be- 
leidigung der fremden Staatshäupter, der diplomatischen “Ver- 
treter usw., aber auch der fremden Staatsschiffe, insbesondere der 
Kriegsschiffe. Auch hier umfaßt, wie oben unter 1 die Völker- 
rechtswidrigkeit nicht nur diejenigen Handlungen, die unmittelbar 
von dem Staate selbst durch seine Organe vorgenommen werden, 
sondern auch die unterlassene Hinderung oder Bestrafung der auf 
seinem Gebiete von Staatsangehörigen oder Staatsfremden begangenen 
Handlungen. Dagegen gehört die Erweisung besonderer Ehren- 
bezeugungen nicht mehr dem Völkerrecht, sondern der inter- 
nationalen Höflichkeit an. Das gilt auch von dem gesamten Land- 
und Seezeremoniell und von der Berücksichtigung der von den 
Kaiserreichen und Königreichen sowie von den großen Freistaaten 
für sich in Anspruch genommenen „königlichen Ehren“ (Gesandte 
erster Klasse, Königskrone im Wappen, Brudertitel). 
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