86 I. Buch. Die Rechtssubjekte des völkerrechtlichen Staatenverbands.
nen Erwerbsakt durch nachträgliche Genehmigung zu einem Akt der
Staatsgewalt erheben. Erwerb der Gebietshoheit durch Privatpersonen
ist logisch unmöglich; denn die Gebietshoheit ist Staatsgewalt, und
diese kann nur dem Staate. zukommen. Vgl. oben 85 II2.
4. Erwerb und Abtretung von Staatsgebiet bedürfen der Anerkennung
durch die übrigen Staaten, soweit durch jene Änderung in die bestehenden
Rechte dieser Staaten eingegriffen wird.
In diesem Falle ist es Sache der in ihren Rechten bedrohten oder
verletzten Mächte, gegen die Gebietsveränderung Einspruch zu er-
heben und so ihre Rechte zu wahren (unten 8 21 Il 3). Das Still-
schweigen trotz erfolgter Verständigung ist als Zustimmung, mithin
als Verzicht aufzufassen. Die Zustimmung kann nicht schon deshalb
versagt werden, weil die Gebietsveränderung den Interessen dritter
Staaten widerspricht und etwa das bestandene Gleichgewicht zu deren
Ungunsten verschiebt.
So haben gegen den Vertrag zwischen Großbritannien und dem
Kongostaat vom 12.Mai 1894 wegen der Abmachungen über die Pro-
vinzen am oberen Nil Frankreich, Deutschland und die Türkei Ein-
spruch erhoben. Deutschland hat “insbesondere gegen den Art.3 des
Vertrages, durch welchen der Kongostaat einen 25 km breiten Land-
strich- vom Tanganyika- bis zum Albert-Eduard-See pachtweise an
England überlassen wollte, mit Erfolg protestiert. Der Artikel wurde
bedingungslos zurückgezogen).
II. Mit der Herrschaft über das Gebiet wird von dem erwerbenden Staat
auch die Herrschaft über die zur Zeit des Erwerbes auf dem Gebiete wohnhaften
Angehörigen des abtretenden Staates erworben. Die Staatsgewalt des erwer-
benden Staates ergreift dagegen nicht die Staatsangehörigen, die bereits vor
dem Erwerb die Staatsangehörigkeit überhaupt oder durch Aufgabe des Wohn-
sitzes die Zugehörigkeit zu dem Geblete aufgegeben haben.
Die Zugehörigkeit zu dem Staatsgebiet, das von dem einen Staate
an den andern übergeht, wird mithin durch eine doppelte Voraus-
setzung bedingt: 1. Übernommen werden nur diejenigen Personen,
die Staatsangehörige des das Gebiet verlierenden Staates sind,
nicht aber Staatsfremde, die in dem Gebiete wohnhaft oder begütert.
sind und von der Personalhoheit des erwerbenden Staates nicht er-
griffen werden. 2. Auch jene nur dann, wenn sie in dem Gebiete ihren
Wohnsitz haben, nicht aber, wenn sie nur vorübergehend in dem |
Gebiete, etwa. zur Zeit des die Abtretung vereinbarenden Friedens-
schlusses, sich aufhalten. Gleichgültig dagegen ist die Abstammung
aus dem Gebiete, d. h. die Abkunft von solchen Eltern, die bereits
in dem Gebiete ansässig gewesen 'sind. Die neue Staatsgewalt ergreift
3) Vgl. R. G. 1374; die Aktenstücke in N.R.G. 2. s. XX 805, XXI 531, 676.