Full text: Das Völkerrecht systematisch dargestellt.

88 I. Buch. Die Rechtssubjekte des völkerrechtlichen Staatenverbanda. 
aus der nur Österreich, keine dritte Macht, ein Recht ableiten konnte, 
wurde durch Vertrag zwischen Österreich und Preußen vom 11. Oktober 
1878 aufgehoben?). Auch im Wiener Frieden vom 3. Oktober 1866 
(Strupp 1 275) ist das Plebiszit vorgesehen. 
| Der Gedanke, daß das Plebiszit der Bewohner Bedingung für 
die Rechtswirksamkeit der Erwerbung des Gebietes sei, ist beson- 
ders von den französischen Schriftstellern bis in unsere Tage fest- 
gehalten worden. Die herrschende Ansicht innerhalb der völkerrecht- 
lichen Literatur steht auf dem entgegengesetzten Standpunkt. Und 
gewiß mit vollem Recht. Entscheidend für die Verwerfung dieser For- 
derung ist in erster Linie nicht die Tatsache, daß jede gewandte Regie- 
rung es in ihrer Hand hat, das ihr wünschenswerte Ergebnis der Volks- 
abstimmung herbeizuführen, daß also in den meisten Fällen das Ple- 
biszit nicht der einwandfreie Ausdruck des unbeeinflußten Volkswillens 
sein wird; entscheidend ist vielmehr eine andere naheliegende Er- 
wägung. Die Plebiszittheorie muß, folgerichtig durchgeführt, den Willen 
eines Bruchteils der Staatsbevölkerung über den Staatswillen stellen 
und damit zur Anarchie führen. Nehmen wir an, daß der im Kriege 
niedergeworfene Staat bereit ist, dem Verlangen des Siegers nachzu- 
geben und den Frieden durch Hingabe eines Stückes seines Gebietes 
zu erkaufen: die Bewohner dieses abzutretenden, vielleicht kleinen 
und dünn bevölkerten Gebiets hätten es nach der Plebiszittheorie in 
ihrer Hand, den Friedensschluß unmöglich zu machen und so die 
völlige Vernichtung des Staates herbeizuführen, dem sie angehören. 
Neben dem Willen der Staatsgewalt würde ein anderer gleichberech- 
ter Willo anerkannt, der alle Entschließungen der Staatsgewalt zu 
hemmen die Kraft hätte. Gerade im Interesse der Völkerfreiheit muß 
daher die Plebiszittheorie verworfen werden. Auf diesem Wege kann 
also die Vermeidung der Härten nicht gefunden werden, die mit dem’ 
Wechsel der Staatsangehörigkeit verbunden sein können. 
2. Dagezen wird durch eine, im Laufe deseneunzehnten Jahrhunderts 
zum Gewohnbeiisrecht gewordene Vereinbarung der beteiligten Staaten (so- 
genannte Opiionsklausel) den Angehörigen des erworbenen Gebietsteils ge- 
stattel, binnen bestimmter Frist bei der zuständigen Behörde zu erklären, daß 
sie Ihre Zugehörigkeit zu Ihrer bisherigen Staatsgewalt bewahren wollen, die 
sie durch die Abtretung an sich verloren hätten. Diese Erklärung schließt die 
Pflicht der Auswanderung (also der Verlegung des Wohnsitzes) In sich; dagegen 
braucht der für seine bisherige Staatsangehörigkeit Optierende sein Eigentum 
7) Abgedruckt N.R.G. 2. s. III 529. — Über die Abtretung von Savoyen 
vgl. Grivaz, R. G. III 445 und Bourgeois, R. G. III 673. Vgl. auch $8 Note 9. 
— Über den ersten Fall der Plebiszitklausel im Jahre 1791 siehe Ullmann 318 
Anm. 3. — Bei „Rückerwerbungen‘‘ wollen die Verbandsmächte das Plebiszit 
nicht zur Anwendung bringen. Auch darin zeigt sich die Schwäche der Theorie.
	        
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