112 I. Buch. Der völkerrechtliche Verkehr innerhalb des Staatenverbandes.
Der an dessen Spitze stehende Minister oder Staatssekretär der
Auswärtigen Angelegenheiten (im Deutschen Reich der Reichskanzler)
gilt nach außen hin kraft seiner Stellung, auch ohne besondere Voll-
macht, als der unmittelbar Beauftragte des Staatshauptes, mithin als
Vertreter der Staatsgewalt. Seine Erklärungen binden den von ihm
vertretenen Staat. Doch bedürfen die von ihm vereinbarten Verträge
in der Regel noch der förmlichen Genehmigung des Staatshauptes, der
sogenannten Ratifikation (darüber unten $ 22 I).
8. Unter der Leitung des Auswärtigen Amtes wird der völkerrechtlich
Verkehr mit dem Ausland unterhalten durch die völkerrechtlichen Agenten
die kraft besonderer Vollmacht den auftraggebenden Staat vertreten.
Man unterscheidet:
a) ständige Agenten; und zwar:
&) Gesandte (agents diplomatiques), die die souveräne Staatsgewalt des
Absendestaates, diesen mithin in allen seinen völkerrechtlichen Beziehungen,
vertreten und daher „diplomatischen Charakter‘‘ besitzen.
P) Konsuln, die als Beamte des Absendestaates diesen nur Innerhalb -
ihres Auftrags, insbesondere in den wirtschaftspolitischen Beziehungen zum
Empfangsstaat, vertreten;
b) nichtständige (außerordentliche) Agenten; und zwar:
&) solche, die mit „‚diplomatischem Charakter‘‘, d. h. mit den Vorrechten
der Gesandten, bei besonderen Anlässen (Hochzeiten, Beerdigungen usw.) den
Absendestaat vertreten;
ß) Agenten ohne diplomatischen Charakter oder Kommissarien, die
zur Erledigung einzelner Staatsgeschäfte, z. B. technischer Fragen
(Grenzregulierungen, Verkehrsinteressen, Industrieausstellungen usw.),
entsendet werden. Sie genießen während ihres amtlichen Aufenthaltes
in dem Empfangsstaate diejenigen Vorrechte, ohne welche die Erledi-
gung ihrer Aufgabe nicht möglich wäre. Dahin gehört das „sichere
Geleit‘“, also. die Unverletzlichkeit ihrer Person und ihrer Papiere (an-
erkannt vom Reichskanzler Fürsten Bismarck, aus Anlaß des Falles
Schnäbele, durch Erklärung vom 28. April 1837?); nicht aber die Be-
freiung von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates.
Eine lehrreiche Anwendung dieses Grundsatzes enthält der deutsch-
schweizerische Vertrag vom 5. Dezember 1896 (R.G.B1.1897 S.195),
betreffend die Einrichtung schweizerischer Nebenzollämter auf badi-
schem Gebiet in Art. VI: „Während seines in Gemäßheit der vorstehen-
den Bestimmungen auf deutschem Gebiet erfolgenden Aufenthalts ist
das schweizerische Zollpersonal den deutschen Gesetzen, sowie der
deutschen Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt insoweit unterworfen, als
2) Abgedruckt bei Fleischmann, 216. Vgl. v. Holtzendorff, R.J. XX
217. Triepel (oben $2 Notel) S.31l. Delpech, R, G. VIII152. Clunet,
Questions de droit relatives & l’incident franco-allemand de Pagny. 1887.