Einleitung.
$ 1. Begriff und Einteilung des Völkerrechts.
I. Begrift des Völkerrechts.
Völkerrecht (richtiger Staatenrecht) ist der Inbegriff der Rechtsregeln,
durch welche Rechte und Pflichten der zur internationalen Staatengemeln-
schaft (Völkerrechtsgemeinschaft) gehörenden Staaten untereinander, und
zwar In bezug auf die Ausübung der staatlichen Hoheitsrechte, bestimmt
werden.
Das Völkerrecht wird von alters her auch als jus gentium, droit
des gens, law of nations bezeichnet. Aber das römische. jus gentium
war sowohl in der Bedeutung eines römischen Reichsrechts (im Gegen-
satz zum Stadtrecht der römischen Bürger), wie in der Bedeutung eines
allen Menschen gemeinsamen Rechts etwas wesentlich anderes, als
es das die Staaten berechtigende und verpflichtende Völkerrecht ist.
Daher ist von Zouch (siehe unten S. 15) der Ausdruck jus inter
gentes vorgeschlagen worden; danach hat Bentham von einem inter-
national law gesprochen. Die heutige französische Rechtssprache be-
vorzugt die Benennung droitinternational, indem sie unter dieser
Bezeichnung bald das Völkerrecht und das internationale Privatrecht
zusammenfaßt, bald aber dieses dem droit international public, dem
Völkerrecht, als einen selbständigen Zweig der Rechtswissenschaft
gegenüberstellt. Aber diese Bezeichnung ist durchaus bedenklich. Denn
das internationale Privatrecht als der Inbegriff der nationalen
Rechtssätze über das räumliche Geltungsgebiet des Privatrechts hat an
sich mit dem Völkerrecht nichts gemein (darüber unten $8 II); und
auch der Ausdruck internationales öffentliches Recht wird richtiger
in durchaus paralleler Auffassung auf die Rechtsregeln über das An-
wendungsgebiet der nationalen, staatsrechtlichen wie verwaltungsrecht-
lichen Rechtsregeln bezogen. .Da nicht die Völker, sondern die Staaten
Subjekte des Völkerrechts sind, würde der von Kant in seinen „Meta-
physischen Anfangsgründen der Rechtslehre‘ 1797 gebrauchte Ausdruck
„Staatenrecht‘‘ sich am meisten empfehlen.
Das Völkerrecht hat es nur mit den Staaten als Staaten, d.h.
in bezug auf die Ausübung der staatlichen Hoheitsrechte, zu tun.
Der Staat als Träger von Vermögensrechten, als privatrechtliches Rechts-
subjekt steht nicht unter den Rechtssätzen des Völkerrechts, sondern
(vgl. aber unten $ 7 III). unter denjenigen des Privatrechts.
v. Liszt, Völkerrecht. 11. Aufl. 1