Die völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse. $ 21. Begriff und Einteilung. 155
ist aber fließend; die Entwicklung des Völkerrechts besteht gerade darin,
daß vielfach das, was heute noch besonderer Vereinbarung bedarf, dem-
nächst auch ohne solche als aus dem Grundgedanken des Völkerrechts
folgend anerkannt wird.
b) Man unterscheidet Rechte und Pflichten, die nur einem Staat
oder mehreren Staaten gegenüber bestehen, von denjenigen Rechten
und Pflichten, die der Staat jedem andern Mitglied der Völkerrechts-
gemeinschaft gegenüber hat. Man kann jene als relative, diese als
absolute bezeichnen. So hat jeder Staat der Völkerrechtsgemein-
schaft die Pflicht, die dauernde Neutralisierung eines Staates oder die
Befriedigung eines Gebietsteils zu achten und jeder Staat ist be-
rechtigt, die Durchführung der Handelsfreiheit (innerhalb der durch
den Vertrag von 1890 gezogenen Grenzen) von dem Kongostaat wie
seinem Rechtsnachfolger Belgien zu verlangen. Verträge aber, die
zwischen einzelnen Staaten abgeschlossen werden, begründen im all-
gemeinen (unten 8 22 III) Rechte und Pflichten nur zwischen den ver-
tragschließenden Teilen.
.c) Rechte und Pflichten können auf einem bestimmten Staats-
gebiet lokalisiert sein, so daß sie bei einem Übergang dieses Ge-
bietes an einen andern Staat auf den neuen Erwerber übergehen (oben
881113, S. 71). Aber diese Lokalisierung ist eine seltene und daher
im einzelnen Falle besonders nachzuweisende Erscheinung; in der
Regel der Fälle bleiben Gebietsveränderungen ohne Einfluß auf die
bestehenden völkerrechtlichen Berechtigungen und Verpflichtungen.
2. Das System der völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse wird daher an
keine dieser Eintellungen anknüpfen können. Der Eintellungsgrund wird viel-
mehr hergenommen werden müssen aus dem Inhalt der den Staaten gemein-
samen Interessen, deren gemeinsame Förderung den Zweck der Begründung,
Aufhebung oder Abänderung der völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse bildet
(vgl. unten das III. Buch).
UI. Völkerrechtlich erhebliche Tatsachen sind diejenigen Tatsachen, an deren
Vorliegen die Entstehung, der Untergang oder die Veränderung von völker-
rechtlichen Bechtsverhältnissen geknüpft ist.
Diese Tatsachen sind entweder:
1. Natürliche Tatsachen, deren Eintritt von menschlicher Willkür un-
abhängig Ist.
Beispiele von solchen Tatsachen, durch welche der Untergang von
Staaten oder Gebietsveränderungen innerhalb der bestehenden Staaten
bewirkt werden können, sind bereits oben $5 III und $ 10 I gegeben
worden.
Zu den natürlichen Tatsachen gehört im Gehiete des nationalen Bechts
auch der Ablauf der Zeit. Auf dem Gebiet des Völkerrechts aber muß der recht-
begründende oder rechtvernichtende Einfluß der Zeit In Abrede gestellt werden.