$ 22. Die völkerrechtlichen Verträge. 163
zukommt. Das Staatsrecht Großbritanniens und Belgiens kennt keine
Beschränkung der Krone in der völkerrechtlichen Vertretungsbefugnis.
In den Vereinigten Staaten Amerikas dagegen bedarf der Präsident
zum Abschluß der Verträge der Zustimmung des Senats. Für das
Deutsche Reich bestimmt Art.11 Abs.3 der Verfassung: „Insoweit die
Verträge mit fremden Staaten sich auf solche Gegenstände beziehen,
welche nach Artikel 4 in den Bereich der Reichgesetzgebung gehören,
ist zu ihrem Abschluß die Zustimmung des Bundesrates und zu ihrer
Gültigkeit die Genehmigung des Reichstages erforderlich.“ Nach der
überwiegenden Ansicht wird durch diese Bestimmung die völker-
rechtliche Vertretungsbefugnis des Kaisers in keiner Weise berührt;
sie hat lediglich staatsrechtliche Bedeutung. Dasselbe gilt von Art. 48
der preußischen Verfassung, nach dem „Verträge mit fremden Regie-
rungen zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung der Kammern bedürfen,
sofern es Handelsverträge sind, oder wenn dadurch dem Staate Lasten
oder einzelnen Staatsbürgern Verpflichtungen auferlegt werden‘).
Ganz eigenartig und aus der besonderen Sachlage zu erklären
ist Art. 18 des Frankfurter Friedensvertrages vom 10.Mai 1871 (R.G.Bl.
3.223). Er bestimmt: „Die Ratifikationen des gegenwärtigen Vertrages
durch Seine Majestät den Deutschen Kaiser einerseits und andererseits
durch die Nationalversammlung und durch das Oberhaupt der
vollziehenden Gewalt der Französischen Republik werden in Frankfurt
binnen zehn Tagen oder wo möglich früher ausgetauscht werden.“
Und in dem Protokoll vom 20.Mai 1871 über den Austausch der Rati-
fikationen ist die Vorlegung einer in gehöriger Form erfolgten Aus-
fertigung des am 18. Mai von der Nationalversammlung angenom-
menen, den Friedensvertrag ratifizierenden Gesetzes ausdrücklich
erwähnt.
II. Die Wirkung der Staatsveriräge.
Der Staatsvertrag berechtigt und verpflichtet die vertragschließenden Teile.
Er bindet, von besonderen Vereinbarungen abgesehen, den Staat
mit seinem Gesamtgebiet. Doch wird in den Kollektivverträgen meist
eine besondere Erklärung über den Beitritt mit den einzelnen Kolo-
nien oder anderen überseeischen Besitzungen der Vertragschließenden
besonders vorgesehen. So sagt schon Art.19 der Berner Literaturkon-
vention vom 9.September 1886 (unten 8 32 II2): „Die der gegen-
wärtigen Übereinkunft beitretenden Länder haben jederzeit auch das
- !
5) Derselben Ansicht: Gneist, Laband, Arndt, G. Meyer, Anschütz,
Triepel, Schoen, K. Z. V 400 (gegen Anzilotti). Dagegen E. Meier, Born-
hak, Zorn; neuerdings Kohler, K. Z. II218, Fleischmann 512, Anzilotti,
Volontä eresponsabilitä nella stipulazione dei trattati internazionali. 1910. Vgl.
auch Tezner, Zeitschrift für Politik IX 561.
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