8 25. Das völkerrechtliche Delikt. 179
jektiv oder auch nur subjektiv betrachtet kein Unrecht darstellen,
vermögen niemals die Haftung des Staates zu begründen).
8. Der Staat haltet in allen diesen Fällen für völkerrechtswidrige Unter-
lassung der Verhinderung oder Bestrafung.
Die Berufung auf die Mangelhaftigkeit der nationalen Gesetz-
gebung befreit nicht von der Haftung. Jeder Staat ist verpflichtet, seine
Gesetzgebung so einzurichten, daß sie ihn in den Stand setzt, seinen
völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen (oben 8 7 II1). Aber
die Haftung des Staates ist in allen hierher gehörigen Fällen bedingt
dadurch, daß der Verletzte den Rechtsweg vergeblich betreten hat.
Nur wenn dieser Weg versagt, tritt die Haftung des Staates ein. Sie
ist nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar begründet.
Wenn fremde Staatsangehörige bei leidenschaftlich erregtem
Nationalitätenhaß wegen ihrer Zugehörigkeit zu dem fremden Staate
verletzt worden sind (man erinnere sich an die Lynchung freigesproche-
ner Italiener in Neuorleans 1891), so ist eine Haftpflicht des Aufent- .
haltstaates der Verletzten nach Völkerrecht an sich nicht begründet;
diesa haben vielmehr zunächst den Rechtsweg zu beschreiten. Doch
haben die Regierungen, namentlich der europäischen Staaten, wieder-
holt in solchen Fällen Entschädigungen gewährt. So Frankreich 1893
aus Anlaß der Schlägerei zwischen Franzosen und.Italienern zu Aigues-
Mortes. Eine rechtliche Verpflichtung dazu bestand aber nicht). An-
ders bei Ausbrüchen des Volkshasses im Kriege, soweit dem Verletzten
der Rechtsweg versperrt ist. Hier muß eine Entschädigungspflicht des
Staates angerrommen werden, deren Erfüllung freilich von dem Inhalt
des Friedensvertrages abhängen wird.
Das oben Gesagte gilt auch für Verletzungen, die während eines
Bürgerkrieges oder eines Aufstandes fremden Staatsange-
hörigen von den Staatstruppen oder von den Aufständischen zugefügt
sind®). Die Verletzten haben daher zunächst den Rechtsweg zu betreten;
und erst, wenn dieser versagt, tritt die Ersatzpflicht des Staates ein.
Die europäischen Mächte sind gegenüber den durch immer wieder-
kehrende innere und äußere Unruhen erschütterten mittel- und süd-
amerikanischen Staaten vielfach mit Erfolg weitergegangen und haben
sofort, ohne daß eine Anrufung der Gerichte stattgefunden hätte, auf
4) Teilweise abweichend Triepel 351. Vgl. Regelsperger, R. G. IV 735,
5) Vgl.R.G.1171.
6) Vgl. AnnusireXVIII. Breton, Dels responsabilit6 des Etats en matiöre
de guerre civile eto. 1906. Vanneroy, Evolution de l’idöe de responsabilit6 en cas
de troubles ou d’&meute. 1907. Wiese, Le droit international appliqu6 aux guerres
civilee. 1899. R. G. 1164, II 338, III 476. Rivier, Principes II 43 (gegen ihn, der
hier unmittelbare Verantwortlichkeit des Staates annimmt, gut Oppenheim
1223). Anzilotti, R. G. XIII 5, 285.
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