190 IH. Buch. Die .Interessengemeinschaft des völkerrechtl. Staatenverbands.
tum, selbst wenn eine Aneignung desselben nicht vorausgegangen ist;
auch Freiheitsberaubung oder Notzucht usw. Es bedarf daher nicht des
verschwommenen Begriffes der (Juasipiraterie, um die sämtlichen Fälle
zu decken.
2. Die völkerrechtliche Rechtstolge des Seeraubes ist die Entnationali-
sierung des Seeräuberschiffes; dieses ist mithin völkerrechtlich vogellrel, 'es
kann ohne Verletzung des Staates, dem das Schiff seiner Flagge und die Be-
satzung Ihrer Nationalität nach angehört, von den Kriegs- wie Handelsschiffen
jedes Staates aufgebracht, mit der Ladung eingezogen, seine Besatzung nach
dem Recht des aufgreifenden Staates zur Verantwortung gezogen werden.
Alle Staaten des Staatenverbandes sind verpflichtet, gegen den
Seeräuber einzuschreiten; aushilfsweise auch in fremden Küsten-
gewässern. Die geraubten Gegenstände sind nach einem, seit dem
18. Jahrhundert anerkannten Rechtssatz (pirata non mutat dominium)
dem Eigentümer zurückzugeben (Reprise). Dies wird wohl auch noch in
den Verträgen ausdrücklich ausgesprochen. Vgl. den deutschen Freund-
schafts- usw. Vertrag mit Nicaragua vom 4.Februar 1896 (R.(.Bl.
S.171) Art. 19.
V. Die Ausgestaltung des. öffentlichen und des privaten Seerechts ist eben
infolge der Freiheit des Meeres Sache des einzelnen Staates. Doch hat sich hier-
in einer Reihe von Beziehungen ein inhaltlich gleiches und In diesem Sinne Inter-
nationales Recht ausgebildet,
1. Die Staatsangehörigkeit eines Schiffes und damit seine ganze Rechts-
stellung richtet sich (im Frieden wie im Kriege) nach der von ihm geführten
Flagge. Über Flaggenmißbreuch als Kriegslist vgl. unten 8 41 III.
Durch die Flagge wird die Nationalität des Schiffes für den Ver-
kehr auf offener See wie in den Eigengewässern fremder Staaten,
völkerrechtlich bestimmt. Die Voraussetzungen der Befugnis wie der
Verpflichtung zur Führung der nationalen Flagge bestimmen sich nach
der Gesetzgebung des Staates, dem das Schiff seiner Flagge nach an-
gehört. Widersprüche zwischen den verschiedenen nationalen Gesetzen
sind daher nicht ausgeschlossen; über gleichmäßige Regelung wurde
vom Institut für Völkerrecht 1896 zu Venedig beraten.
In den Verträgen wird der eben aufgestellte Grundsatz vielfach
ausdrücklich anerkannt. So namentlich auch in den deutschen Handels-
verträgen von 1904/5 (unten $ 28 I).
Es ist nicht ausgeschlossen, daß Schiffe eines im allgemeinen
nicht Seeschiffahrt treibenden Staates unter der Flagge eines befreun-
deten Staates fahren. Es bedarf dazu aber nicht nur selbstverständlich
lich der Vereinbarung mit diesem Staate, sondern auch der Zustimmung
der übrigen Mächte. Das Schiff wird dann in allen friedlichen völker-
rechtlichen Beziehungen durch die Staatsgewalt desjenigen Staates ver-