8 Einleitung.
Belieber. der einzelnen Staaten. Je enger die Fäden des internationalen
Verkehrs sich verschlingen, desto unmöglicher ist es für den ein-
zelnen Staat, sich der Gemeinschaft zu entziehen. Der mächtigste Staat,
wollte er heute erklären, daß er die von ihm geschlossenen Verträge
nicht halten und neue nicht schließen wolle, würde morgen schon dar-
über klar sein, daß diese Erklärung einer Selbstvernichtung gleich-
käme. Darin, daß der Austritt aus der Völkerrechtsgemeinschaft dem
einzelnen Staat eben nicht freisteht, daß er durch die Macht der
Verhältnisse auch gegen seinen Willen in der Genossenschaft fest-
gehalten wird, liegt der durchschlagende Beweisgrund für die Rechts-
natur des Völkerrechts.
8. In dem Fehlen einer über den Staaten stehenden Gewalt liegt die
Schwäche der Staatengemeinschaft und des Völkerrechts.
Auch das Völkerrecht ist Recht wie das staatliche Recht. Aber
es ist diesem gegenüber ein Recht geringerer Ordnung; es gehört einer
von diesem längst überwundenen Entwicklungsstufe an. Es fehlt ihm
die gesicherte Erzwingbarkeit. Es ist, um mit Ad. Merkel zu sprechen,
eine „Lehre‘‘, aber keine „Macht“. Zwar hat die Völkerrechtsgemein-
schaft, wenn sie will, auch die Kraft, ein widerstrebendes Mitglied
zur Erfüllung seiner Rechtspflicht zu zwingen. Aber diese Kraft ist
nicht organisiert, und darum muß sie im Ernstfall versagen. Das
ist die harte Lehre, die uns der Weltkrieg zu klarem Bewußtsein
gebracht hat. Damit ist das große Zukunftproblem vorgezeichnet: die
Einführung des Zwangesin das System des Völkerrechts
(vgl. upten 88 17 und 44).
III. Allgemeines und partikulares Völkerrecht.
Die aus der gemeinsamen Rechtsüberzeugung entstandenen
Rechtssätzo bilden das allgemeine, für alle Staaten verbindliche
Völkerrecht; man denke an die Unverletzlichkeit der Gesandten oder
an die Satzungen des Weltpostvereins. Daneben gibt es aber auch ein
zwischenstaatliches Recht, das nur für eine größere oder kleinere
Gruppe von Staaten gilt. Man pflegt es als partikulares Völker-
recht zu bezeichnen.) Hierher gehört das durch die meisten Sonder-
zweckverbände (oben S. 2) geschaffene zwischenstaatliche Recht. Es
kann aber auch sein, daß Staaten, die sich geographisch, wirtschaft-
lich oder politisch besonders nahe stehen, miteinander Vereinbarungen
treffen, durch die sie die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen
in umfassender Weise rechtlich regeln. In diesem Sinne spricht man
von einem panamerikanischen Völkerrecht?); in diesem Sinne
6) Gegen Triepel 83, der nur partikulares Völkerrecht anerkennt, vgl.
Cavaglieri, R. G. XVIII256, Heilborn, bei Stier-Somlo Il S. 57.
7) Vgl. besonders Alvarez, La conference des juristes de Rio de Janeiro
et la codification du droitinternat. americain. 1913. Gegen ihn S& Vianna, De la