262 IV. Buch. Die Erledigung der Staatenstreitigkeiten,
sächlich oder angeblich) völkerrechtlich begründeten Rechtsanspruches, mag
es sieh um die Austragung eines Interessenkonfliktes handeln, kann zunächst
erfolgen durch Vereinbarung der streitenden Mächte,
1. Zur Vorbereitung dieses Ergebnisses werden häufig gemischte
Kommissionen (commissions mixtes) aus den Vertretern beider Staaten
mit oder ohne Zuziehung von Sachverständigen zusammengesetzt, deren
Vereinbarungen aber noch der Genehmigung durch die von ihnen ver-
tretene Staatsgewalt bedürfen.
Die erste Konvention der Haager Schlußakte von 1899 hat, um die Ver-
handlungen zu erleichtern, das Institut der „internationalen Untersuchungs-
'kommissionen“ (Commissions internationales d’enqu&te) eingeführt, die
auf Grund der inzwischen gemachten Erfahrungen in dem 1. Abkömmen
von 1907 wesentlich weiterentwickelt wurden (Art.9 bis 36) 2). Diese sollen
bei Streitigkeiten, „die weder. die Ehre noch wesentliche Interessen be-
rühren und einer verschiedenen Würdigung der Tatsachen entspringen“,
„durch eine unparteiische und gewissenhafte Prüfung die Tatfragen
aufklären“. Sie werden durch besonderes Abkommen der Streitteile und
in derselben Weise gebildet wie das Schiedsgericht. Das Verfahren ist
eingehend geregelt. Der Bericht der Kommission, der in öffentlicher
Sitzung verlesen wird, hat sich auf die Feststellung der Tatsachen zu
beschränken und läßt, im Gegensatze zum Schiedsspruch, den streiten-
den Mächten die volle Freiheit der weiteren EntschließBung (Art. 9—14).
Eine wichtige Weiterbildung dieser Einrichtung brachte der soge-
nannte Bryansche Friedensplan von 1913. Nach ihm sollten die Staaten
zunächst durch ein System von Einzelverträgen sich verpflichten,
alle Streitigkeiten, die für die schiedsrichterliche Erledigung sich nicht
eignen — sei es wegen der Ehrenklausel (siehe unten S.267), sei es,
weil ihnen nicht Rechtsfragen, sondern Interessenkonflikte zugrunde
liegen — einer von ihnen eingesetzten ständigen Kommission
zur Prüfung und Berichterstattung zu überweisen. Die Vertragschließen-
den verpflichten sich ferner, bis zur Erstattung des Berichtes weder Krieg
zu erklären, noch Feindseligkeiten zu beginnen. Nach diesem Zeitpunkt
haben sie die volle Freiheit der Entschließung, also auch das Recht,
den Streit mit den Waffen auszutragen. Der Vorschlag fiel auf frucht-
baren Boden. Nicht weniger als 34 Staaten, darunter auch das Deutsche
Reich, haben ihre grundsätzliche Zustimmung erklärt. Bis Ende 1916
hatten 30 Mächte auf dieser Grundlage mit den Vereinigten Staaten Ver-
2) Boghitchövitch, Die Enquette-Kommissionen des Völkerrechts. Fest-
gabe für Hübler. 1905. Herr, Die Untersuchungskummissionen der Haager
Friedenskonferenzen usw. 191l. Bokanowski, Les commissions internat.
d’enquäte. Pariser These. 1908. Politis, R. G. XIX 149. — Über den Dogger-
bankfall vom 21 /22. Oktober 1904 vgl. die Materialien in N. R. G. 2. s. XXXIJI
641. Meurer I158. Mandelstamm, R. G. XII 161, 351.