8 39. Der Krieg als völkerrechtliches Rechtsverhältnie. 287
Rechtssatz des Völkerrechts getreten sei. Denn dieser müßte von der
gemeinsamen Rkchtsüberzeugung sämtlicher Mächte des Staatenver-
bandes getragen werden. Die Vergeltungsmaßregeln des Vierbundes
aber reichen nicht aus, um dessen Anschluß an die englische Auf-
fassung anzunehmen. Es muß mithin eine tiefgreifende Meinungs-
verschiedenheit in dieser Frage innerhalb des Staatenverbandes fest-
gestellt werden. Und diese genügt zwar, um den alten Rechtssatz
aufzuheben, nicht aber, um einen neuen in Geltung zu setzen. Sollte
es nach dem Kriege zu einer Ausgleichung der Meinungsverschiedenbheit
nicht kommer, so behält jeder Staat die volle.Freiheit in der Behand-
lung der feindlichen Staatsangehörigen während des Krieges. Dieser
Zustand würde aber notwendig einen starken Einfluß auf die rechtliche
Stellung der Staatsfremden in Friedenszeiten ausüben und den Wieder-
aufbau des Völkerrechts auf das äußerste gefährden‘!®).
VL Die Beendigung des Kriegszustandes.!*)
1. Sie erfolgt entweder:
a) Formilos durch Einstellung der Feindseligkeiten von beiden Selten oder
durch Unterjochung des Gegners (Eroberung, debellatio oder subjugatio).
So hat Preußen mit Liechtenstein weder 1866 noch später einen
Friedensvertrag geschlossen. — Der eroberte Staat hört auf, als Staat,
mithin als völkerrechtliches Rechtssubjekt, zu existieren. In diesem
Falle können Abmachungen oder „Kapitulationen“ über die Person des
bisherigen Herrschers, sein Vermögen, das geschlagene Heer usw. voran-
gehen, die den Friedensschluß ersetzen. Beispiele bieten die mit Han-
nover von Preußen am 29.Juni 1866 zu Langensalza geschlossene
Kapitulation, sowie die Vereinbarung zwischen den englischen Gene-
rälen und den Burenführern vom 31.Mai 1902. Über eroberte Staats-
teile kann der Eroberer frei verfügen (oben 81012).
13) Grundlegend das englische Gesetz vom 18. September 1914 (auch ab-
gedruckt N. 7. XXV 612). Zusammenstellung in der Denksohrift des (deutschen)
Auswärtigen Amts vom 10. Dezember 1915 ‚„Ausnahmegesetze gegen deutsche
Privatrechte in England, Frankreich und Rußland“. ‚Der Wirtschaftakrieg‘.
Sammlung usw. zusammengestellt von der niederösterr. Handels- und Gewerbe-
kammer. 3. Aufl. 1917. Zu vergleichen Mendelssohn Bartholdy, Der Kriegs-
begriff des englischen Rechts. 1815. Curti, Handelsverbot und Vermögen in
Feindesland. Eine neutrale Darstellung. 1916. Page, War and alien enemies.
2. Aufl. 1915 (wichtig für die englische Auffassung). Bower, N. 2. XXIV 20
(gegen die englische Auffassung). Klibanski, K. Z. X 62 (über die russischen
Gesetze). Finger. Die Stellung der Person und des Privateigentums im Kriegs-
recht. 1016. Signorel, Lestatut des sujets ennemis. 1916. — W. Kaufmann,
Kriegführendo Staaten als Schuldner und Gläubiger feindlicher Staateange-
höriger. 1915.
14) de Louter HI 352. Mörignhac, III1S.121. Nys III 737. Oppen-
heim II 322. Phillipson, Termination of war and treaties of peace. 1916.