Full text: Das Völkerrecht systematisch dargestellt.

$ 42. Die Rechtsstellung der neutralen Mächte. 345 
6. Allgemeine Bestimmungen. 
a) Die neutralen Mächte sind verpflichtet, jede Verletzung dieses 
Abkommens zu verhindern (Art. 25). 
b) Die Ausübung der den neutralen Mächten zustehenden Befug- 
nisse darf niemals als unfreundliche Handlung betrachtet werden 
(Art. 26). " 
c) Die Mächte werden sich alle Bestimmungen über die Behand- 
'lung der Kriegsschiffe der Kriegführenden in ihren Häfen und Ge- 
wässern mitteilen (Art. 27). 
IV. Bis zum Ausbruch des Weltkrieges hat es auf dem europäischen Fest- 
land als feststehender Rechtssatz gegolten, daß der Handel der Neutralen auch 
in Kriegszeiten grundsätzlich frei ist. Durch das Verhalten der mit England ver- 
bündeten kontinental-europäischen Staaten Ist dieser Rechtssatz beseitigt wor- 
den, ohne daß die englische Auffassung die allgemeine Zustimmung gefunden 
hätte. Auch hier weist also das heutige Völkerrecht eine klaffende Lücke aul. 
1. Freiheit des neutralen Handels bedeutet das Recht aller Staatsangehd- 
rigen der neutralen Staaten, während des Krieges nicht nur untereinander, sondern 
aueh mit den Kriegführenden selbst, nicht nur auf neutralem Gebiet, sondern 
such auf dem der Krieglührenden wie auf offener See, Handel zu treiben. 
Dagegen hat England, im Gegensatz zu den europäischen Festlands- 
staaten, an der Ansicht festgehalten, daß es das Recht des Krieg- 
führenden sei, den neutralen Mächten den Handel mit dem Feinde zu 
verbieten. Auch die Vereinigten Staaten haben sich auf diesen Stand- 
punkt gestellt. Im Weltkrieg hat England seine Ansicht mit rücksichts- 
loser Folgerichtigkeit in die Tat umgesetzt und dabei die Zustimmung 
und die Nachfolge seiner Verbündeten gefunden. So hat der englische 
Wirtschaftskrieg gegen seine Kriegsgegner auch die neutralen Staaten 
in Mitleidenschaft gezogen und damit den Begriff der Neutralität selbst 
(oben unter I) durchlöchert. 
Die gegen den Handel der Neutralen (abgesehen von der maßlosen 
Erweiterung des unten unter V besprochenen Bannwarenrechts) ge- 
richteten Maßregeln Englands und seiner Verbündeten können hier 
nicht näher erörtert werden!°). Erinnert sei an die organisierte Über- 
wachung des neutralen Handels (Eröffnung der Handelskorrespondenz, 
Gründung von Überwachungsgesellschaften in den neutralen Staaten), 
an die „schwarzen Listen‘‘ der mit dem Feinde Handelsbeziehungen 
unterhaltenden Firmen, an die Rationierung der Lebensmittel und Roh- 
stoffe, an die Zwangsfahrten der auf englische Bunkerkohle angewie- 
senen neutralen Handelsschiffe, an die Absperrung der deutschen Häfen 
(März 1915) und anderes mehr. Doch sind alle Maßregeln Englands 
10) Einwandfreie Quelle: Statement of the measures adopted to interoept 
the sea-born commerce of Germany (englisches Weißbuch vom Januar 1916). — 
Tönnies, Die niederländische Übersee-Trustgesellschaft. 1916. '
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.