8 7. Die Stastegewalt in ihrer äußeren Unabhängigkeit. 65
ausgesprochene Grundsatz eine Durchbrechung. Durch die Klage-
erhebung unterwirft sich der Staat auch der Widerklage aus einem zu-
sammenhängenden Gegenanspruch wie der Vollstreckung (sehr be-
stritten).
Privatrechtliche Streitigkeiten zwischen selbständigen Staaten kön-
nen daher regelmäßig nur auf dem Wege einer gütlichen Vereinbarung
oder durch Schiedsspruch friedlich erledigt werden. Die Vereinbarung
eines internationalen Schiedshofs zur Entscheidung solcher Streit-
fälle muß mithin als dringend wünschenswert bezeichnet werden. Vgl.
unten 817114.
2. Auch die exterritoriale Stellung des in fremdem Staatsgeblet wellen-
den Staatsoberhauptes sowie der 6esandten ergibt sich als Folgerung aus der
Unabhängigkeit jedes einzelnen Gliodes der Völkerrechtsgemeinschaft (un!en
88 18 bis 16).
IV. Aus dem Grundgedanken des Völkerrechts, durch das die Gemeinschaft
der Staaten konstituiert wird, ergibt sich endlich auch Recht und Pflicht
eines jeden Staates zu ständigem Verkehr mit allen übrigen Mitgliedern der
Völkerrechtsgemeinschaft (zum „commercium‘‘, zur „Soziabilität‘‘).
In dem Begriff des Verkehrs liegt zunächst die Unterhaltung. stän-
diger diplomatischer Beziehungen mit den übrigen Staaten,
deren Gebrauch so alt ist wie das Völkerrecht überhaupt, und deren
Anbahnung der erste Schritt zu sein pflegt, der einen bisher außerhalb
der Völkerrechtsgemeinschaft stehenden Staat in diese Gemeinschaft
einführt. Es liegt darin ferner die Unterhaltung rechtlicher Be-
ziehungen, die in dem Abschluß von Staatsverträgen ihren Aus-
druck findet. Es liegt darin endlich die Erschließung des Lan-
des für die Angehörigen der übrigen Staaten und deren grundsätzliche
Gleichstellung untereinander und mit den eigenen Staatsangehörigen
(unten 8 12)®).
Ein Staat, der durch eine chinesische Mauer gegen alle andern
Staaten sich abschließen wollte, träte damit ohne weiteres aus der
Völkerrechtsgemeinschaft aus. Ein Staat, der einem andern Staate
das allen andern gewährte commercium versagt, begründet damit
für diesen einen casus belli. Daher ist auch die wirtschaftliche
Boykottierung mit den Grundgedanken des Völkerrechts unvereinbar
(vgl. unten 828I). Durch diese grundsätzliche Verpflichtung zur
Unterhaltung des Verkehrs wird aber die Berechtigung nicht berührt,
ım einzelnen Falle den Abschluß eines Vertrages, den Empfang einer
Gesandtschaft, die Zulassung eines Staatsangehörigen zu verweigern.
8) Das in den Verträgen der letzten Jahre, namentlich China, Abessinien,
Marokko gegenüber, oft ausgesprochene ‚Prinzip der offenen Türe‘‘ wendet diesen
Satz auf die dem Staatenverbande noch nicht völlig angeschlossenen Staaten an.
Vgl. Kobatsch, Internationale Wirtschaftspolitik 1907. S. 154.
v. Liszt, Völkerrecht. 11. Aufl. . 8