$ 8. Die Staatsgewalt in ihrer inneren Selbständigkeit. 67
Hier liegt der Berührungspunkt zwischen dem Völkerrecht und
dem sogenannten internationalen Recht (oben $ 1 I). Die Lösung der
Statutenkollision, die nicht nur im Privatrecht und im Straf-
recht, sondern auf allen Gebieten der Gesetzgebung von Wichtigkeit
werden kann, ist zweifellos zunächst Aufgabe eines jeden einzelnen
Staates. Durch seine nationale Gesetzgebung hat er zu bestimmen, ob
im einzelnen Fall inländisches oder ausländisches Recht (und welches
von verschiedenen ausländischen Rechten) zur Anwendung kommen
soll. Aber die ausnahmslose Anwendung des inländischen Rechts auf
alle zur Beurteilung der nationalen Behörden gelangenden Rechtsver-
hältnisse, also die uneingeschränkte Durchführung der Territorialprin-
zips, würde im Widerspruch stehen zu dem Grundgedanken des Völker-
rechts selbst: zu der Anerkennung der Gleichberechtigung aller Mit-
glieder der Völkerrechtsgemeinschaft und der Abgrenzung Jder Macht-
kreise; und sie würde im Wiederspruch stehen zu den Bedürfnissen
des internationalen Verkehrs. In der Tat bringt kein einziger Staat heute
ausnahmslos sein heimisches Recht zur Anwendung. Jeder Staat
schreibt vielmehr unter gewissen Voraussetzungen die Anwendung des
ausländischen Rechts vor, mag es sich um die persönliche Handlungs-
fähigkeit eines Ausländers oder um ein dingliches Recht an einer im
Auslandc« gelegenen Sache oder um die Form eines im Ausland geschlosse-
nen Vertrages usw. handeln. Diese Grundsätze, durch welche die Ent-
scheidung über die „Konflikte‘‘ des inländischen mit dem ausländischen
Recht, über die ‚Kollision der Statuten‘, bestimmt wird, hat die natio-
nale Gesetzgebung ausdrücklich oder stillschweigend aufzustellen. Aber
sie hat bei ihrer Aufstellung die Coexistenz der mit ihr gleichberech-
tigten ausländischen Staaten ins Auge zu fassen.
Durch die Haager Konventionen (unten $ 32) ist die übereinstim-
mende Regelung der sogenannten Kollisionsnormen auf wichtigen Ge-
bieten des Privatrechts gesichert worden. Aber auch abgesehen von
diesen Verträgen, ist schon heute die Überwindung des sogenannten
Territorialprinzips gerade durch die nationale Gesetzgebung aller Kultur-
staaten eine feststehende Tatsache.
2. Die Autonomie kann durch vertragsmäßig übernommene oder durch
von andern Staaten auferlegte Verpflichtungen beschränkt sein (oben 86 N).
IIL Die Staatsgewalt, bezogen auf das Staatsgebiet (unten $ 9) und durch
diese Beziehung räumlich umgrenzt, nennen wir Gebietshohelt (Territorial-
gewalt). Sie ist Imperium, nicht dominium; völkerrechtlich anerkannte Herr-
schaft über Menschen innerhalb des Gebiets, nicht ein dingliches Recht an
dem Gebiet.!)
1) Objekt der Staatsgewalt als Gebietshoheit ist demnach nicht das Staats-
gebiet; ihr Objekt bilden vielmehr stets die Menschen, die sich auf dem Gebiete
aufhalten oder durch Vermittlung dinglicher Rechte an unbeweglichen, im Staats
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