68 I. Buch. Die Rechtesubjekte des völkerrechtlichen Staatenverbands.
1. Die Gebietshoheit schließt jedes Eingreifen einer fremden Staatsgewalt
in das Staatsgebiet, jede unmittelbare Ausübung fremder Hoheltsrechte in
dem Geblet aus.
Über die besonderen Rechtsregeln, welche für die konsularischen
Jurisdiktionsbezirke gelten, vgl. unten $ 16 IV.
2. Ein und dasselbe Geblet kann unter der, sei es getellten, sei es un-
geteilten Mitherrschaft mehrerer Staaten stehen (condominium, richtiger co-
imperium).: Neben diesem ist auch gemeinsames Protektorat (gemeinsame
Oberherrschaft) möglich.
Erfahrungsgemäß bildet die Mitherrschaft die Quelle gefährlicher
Schwierigkeiten. Ungeteilte Mitherrschaft hatten nach dem Wiener
Frieden vom 30. Oktober 1864 Österreich und Preußen in Schleswig-
Holstein und Lauenburg; sie wurde durch den Gasteiner Vertrag vom
14. August 1865 (Strupp I 240) zwar für Schleswig-Holstein grund-
sätzlich vorbehalten, tatsächlich aber gelöst. Das Kondominium zwi-
schen Baden und Hessen im Dorfe Kürnbach ist durch Vertrag vom
11.Mai 1905 (Bad.G.Bl.1904 Nummer 29) aufgehoben worden. Die
Fasanen- oder Konferenzinsel (an der Mündung der Bidassoa) steht unter
dem Coimperium von Frankreich und Spanien (N.R.G. 3. s. V 737). Un-
geteilte Mitherrschaft hatten Belgien und Preußen an dem Minen-
distrikt von Neutral-Moresnet. Als nämlich auf Grund des Art.25 der
Wiener Kongreßakte vom 9.Juni 1815 die Grenzlinie zwischen den
Niederlanden und Preußen genau bestimmt werden sollte, konnte
man sich über das kleine, aber wertvolle Gebiet nicht einigen. Es
wurde daher durch Art. 17 des Grenzvertrags vom 26. Juni 1816 (Fleisch-
mann S.9 Note 9) vereinbart, daß einstweilen das Gebiet unter der
gemeinschaftlichen Verwaltung der beiden Staaten stehen und von
keinem derselben militärisch besetzt werden solle. Der Krieg von
1914 wird dem unhaltbaren Zustand ein Ende machen?). Unter dem
gebiet gelegenen Gütern in Beziehung zu dem Staatsgebiet treten. So die über-
wiegende staatsrechtliche Auffassung (Jellinek). Besonders aber: Fricker,
Vom Staatsgebiet. 1367. .Derselbe, Gebiet und Gebietshoheit. 1901. Bi-
gliatti (oben $4) S.77; Cavaglieri, Archivio giuridico LXXIII; de Louter
1322. Dagegen Heilborn 5, Laband (5. Aufl.), 1191, Ullmann 288 mit wei-
terer Literatur. Anders im Patrimonialstaat, in dem imperium und dominium
zusammenfallen. Aber noch im Frieden zu Versailles vom 26. Februar 1871
finden wir die Übertragung von Staatsgebiet (Elsaß-Lothringen) zu „vollem
Souveränitäts- und Eigentumsrecht“. — Vgl. auch Ghirardini, La sovranitä
territoriale nel diritto internaz. 1913. Gautier, Das Wesen des Staatsgebiets
dargestellt am Kondominat. Heidelberger Diss. 1906.
2) Vgl. Schroeder, Das grenzstreitige Gebiet von Moresnet. 1902. Leich-
senring, Neutral-Moresnet, seine Entstehung und völkerrechtliche Natur. Er-
langer Diss. 1911. Fleischmann bei v. Stengel-Fleischmann II%l. —
G>gen die Ansicht des Textes: Reichsgericht in Strafsachen E. XXXVIII 289