5 8. Die Staategewalt in ihrer inneren Selbständigkeit. ‘1
nicht behauptet werden, daß der Erwerber des belasteten Gebietes ohne
weiteres in die Verbindlichkeit seines Vorgängers einrückt. Es ist viel-
mehr in solchem Falle Sache des Veräußerers, den bisher Berech-
tigten zu entschädigen, wenn dieser nicht ausdrücklich oder stillschwei-
gend, durch vorbehaltlose Einwilligung in die Gebietsveränderung, auf
sein Recht verzichtet. Von einem dinglichen oder absoluten, an dem
Grundstücke haftenden Charakter des Rechtsverhältnisses kann also
keine Rede sein.
Anders liegt die Sache dann, wenn, insbesondere bei der Verpflich-
tung, die Ausübung von Hoheitsrechten zu unterlassen, die Bindung
des verpflichteten Staates nicht im einseitigen Interesse seines Ver-
tragsgegners, sondern, etwa durch einen Kollektivvertrag, im allge-
meinen Interesse erfolgt. Dann ruht die Verpflichtung aller-
dings auf dem Gebiete, so daß sie bei Gebietsveränderungen auf
dea Erwerber übergeht (unten $ 24 IV); sie nimmt mithin dinglichen
Charakter an. Ein vielbesprochenes Beispiel bieten die ehemals sar-
dinischen Provinzen Chablais und Faucigny (mit dem savoyischen
Gebiete im Norden von Ugine)°). Diese sollten nach Art. 92 der Wiener
Kongreßakte an der Neutralität der Schweiz teilnehmen; im Fall eines
Krieges sollte Sardinien seine Truppen zurückziehen und die Schweiz
das Besetzungsrecht haben. Diese Bestimmung wurde wiederholt und
erweitert in Art.3 Abs.2 des Pariser Friedens vom 20. November 1815
und in der Erklärung der Mächte, betreffend die Neutralisierung der
Schweiz von demselben Tage. Als durch den Turiner Vertrag vom
24.März 1860 (Fleischmann 62) diese Gebiete von Sardinien an Frank-
reich übertragen wurden, erkannte Frankreich ausdrücklich seine Ver-
pflichtung an, sie mit der auf ihnen ruhenden Neutralität zu über-
nehmen (Art.2). Die Schweiz hat auch 1870 wie 1914 (Erklärung des
Bundesrats vom 4.August 1914) ihr Besetzungsrecht betont, aber
seine Ausübung sich vorbehalten. In derselben Weise muß wohl auch
angenommen werden, daß Deutschland als Rechtsnachfolger Frank-
reichs in die oben S. 70 erwähnte Verpflichtung eingetreten ist, die
Stadt Hüningen unbefestigt zu lassen!%). Aber auch in diesen Fällen
paßt der privatrechtliche Begriff der Servituten schlecht auf diese
streng Öffentlichrechtliche Beschränkung der Staatsgewalt (unten $ 211).
4. Die Gebietshoheit ergreift mittelbar alle auf dem Gebiet befindlichen
Sachen, und zwar die unbeweglichen intensiver als die beweglichen, jedoch auch
jene mit den durch die Exterritorialität (s. unten 6) gegebenen Einschränkungen.
9) Vgl. Usannaz-Joris, De la neutralit& de la Savoie. 1901. Tresal,
L’annexion de la Savoie & la France. 1915. Vgl. auch $10 Note 6.
10) Ebenso Brie bei v. Stengel-Fleischmann III 472, Hollatz5l, Re-
pond R. G. IX 43 (47), W. Krauel (oben $6 Note 18) 92. Abweichend v. Ro-
gister (Lit. zu 824) 32; Richter 60; Schönborn bei Stier-Somlo II2 S. 48.