Full text: Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches.

J. 
Die Gründung den Norddeutschen Bundes 
und den Deutschen Reiches. 
Unter dem Drucke der Napoleonischen Fremdherrschaft, in 
den Zeiten der tiefsten Erniedrigung Deutschlands und Preußens 
ist der Glaube an die Zukunft und die politische Größe 
Deutschlands in den edlen Geistern unseres Volkes wieder 
erwacht. Aber nur langsam, im Verlaufe von Jahrzehnten hat 
die Idee der deutschen Einheit die Herrschaft im Volke er- 
rungen, ist sie die treibende Kraft geworden, die endlich alle 
Hindernisse überwand und das Deutsche Reich im Glanze der 
herrlichsten Siege und in nie dagewesener Macht wieder erstehen 
ließ. Der Gang der deutschen Geschichte schien nicht zur Einheit, 
sondern zur politischen Zersplitterung der Nation führen zu 
müssen. Unübersteiglich mußten dem Geiste denkender Staats- 
männer die Hindernisse erscheinen, die sich der Verwirklichung 
der deutschen Einheit entgegenstellten. Mochten die Deutschen 
die Herrschaft im Geisterreiche der Wissenschaft und Dichtkunst 
erringen und behaupten, mochten sie in der Philosophie der 
Geschichte den Erweis erbringen, daß die Teilung der Welt 
unter die anderen Völker vernünftig, weil wirklich, sei, auf den 
Segen des nationalen Staates und auf die Teilnahme an der 
Herrschaft über die Welt hatten die Deutschen bescheiden Verzicht 
zu leisten. Die stolzen Hoffnungen, die die Herzen der Patrioten, 
vor allem der Jugend, während und nach den Freiheitskriegen 
erfüllten, erwiesen sich bald als trügerisch. Und nicht war es 
der Neid der Fremden, war es die Tücke kleinlicher Staats- 
männer, die Deutschland um seine Hoffnungen trogen. Gerechter 
als in früheren Tagen können wir heute die Gründung des 
Deutschen Bundes im Jahre 1815 beurteilen. Keinen Zweifel 
wird heute der Einsichtige hegen, daß die Entwürfe einer 
deutschen Verfassung, die in den Jahren 1814 und 1815 von 
den edelsten Patrioten, wie vor allem von dem Freiherrn 
ANuE 34: Loening, Reichsverfassung. 2. Aufl. l
	        
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